Die Hure: Roman (German Edition)
weiß ich nicht.«
»Doch.«
»Na ja. VIELLEICHT ist es möglich, diese Instanz zu finden, die dieses System aufrechterhält. VIELLEICHT ist es möglich, diese Instanz zu stoppen. VIELLEICHT .«
»Wo ist sie?«
»Dort, wo die großen Männer nach dem Tod hingehen.«
Sie bekommen eine Landkarte von Isis. Kalla sammelt ihre Truppe. Neben ihr laufen zwei Tiere: ein großes und ein sehr großes. In ihnen lebt der Tod von hundert Einzelnen. Sie erinnern sich an all das Schreckliche, das diesen Knochen, Muskeln, Fetten und Geweben widerfahren ist. Die Tiere sind mindestens so sehr auf Rache aus wie die Frauen.
Die Armee marschiert über den ausgezehrten Kontinent und durch das verschmutzte Meer bis in die Neue Welt. An der Küste liegt eine Stadt, in der das Patriarchat in seiner Dummheit selbst einen Sprung in seine Schale geschlagen hat.
Die Frauen und Männer in der Stadt schauen kurz zu Kalla und ihrer Armee auf, starren ihnen aber nicht nach: Sie sind daran gewöhnt, dass von Zeit zu Zeit riesige Dinge durch ihre Straßen poltern. Außerdem bleibt nur ein Idiot im Gedränge stehen. Sie machen weiter mit dem Ein-ein-einkaufen und dem Ver-ver-verkaufen. Carrie trinkt einen Americano und denkt an ihren künftigen Ehemann.
Die Armee lässt sich Soldatin für Soldatin durch das frauengroße, rauchende Loch in der Erde fallen. Unter der Erde folgen sie den Wegweisern in Richtung Phallustein. Dort wohnen die verstorbenen großen Männer.
Wenn man tief und weit genug geht, kommt man an ein goldenes Tor. Dieses Tor hat nicht nur einen, sondern gleich zwei Bögen. An dem einen steht: »Arbeit macht frei!« Und an dem anderen: » I’M LOVING IT! «
Hinter dem Tor liegt ein Garten mit millimeterkurz geschnittenem Rasen. Jenseits des Gartens ragt ein hohes Steingebäude mit Kuppeldach auf. Kalla schnaubt.
Die Armee betritt das Gebäude und läuft die Treppe zum Turm hinauf. Man hört das Rascheln der Tarnanzüge und das Stampfen der Militärstiefel, aber keine Spur von Atemlosigkeit. Kallas keuchen nicht.
An der Tür am obersten Treppenabsatz steht »Verwaltung«. Kalla drückt auf den Summer, die Tür öffnet sich mit einem Klick. Hinter dem Empfangsschalter sitzt eine Frau. Ihren Kopf bedeckt eine Kapuze mit einem schmalen Schlitz für die Augen. Als die Frau aufsteht, ist zu sehen, dass sie nichts weiter am Leib hat als Schuhe in circa Größe dreißig. Die Frau muss sich am Tisch festhalten, sie kann nicht richtig stehen.
Kalla zieht der Frau die Kapuze vom Kopf und fragt, warum sie sich so kleidet.
»Aus freiem Willen«, antwortet die Frau mit dünner Stimme.
»Warum will sich irgendwer so anziehen?«, fragt Kalla.
»In meinem Herzen fühle ich, dass es das Richtige ist. So ehre ich …«
Der Satz bleibt unvollendet, die Frau fällt tot zu Boden. Kalla senkt das Gewehr. Sie hat die Frau von ihrem Leid erlöst.
Neben dem Empfangszimmer befindet sich eine Küche. Dort kleben Schilder mit der Aufschrift »Women only«. An der Wand neben der Tür zur Küche hängt ein Pin-up-Kalender. Das Novembermädchen hat eine Sprechblase: »Ich bin deine Sklavin.« Hinter der Küche entdecken sie einen kleinen Raum voller Putzlappen und Wischmopps. Kalla stellt die Flammenwerferfunktion an ihrer Waffe ein und zündet die Putzkammer an.
Als Nächstes finden sie einen Raum, der als »Control Room« beschildert ist. Kalla tritt die Tür auf. In dem Raum ist niemand. Dort stehen nur Tausende von Monitoren, die Aufnahmen von Schlachtungen, Steinigungen, Beschneidungen, Ehrenmorden und allerhand anderen blutigen und ekligen Vorgängen zeigen. Dazu Videos von Gottesdiensten, Zeremonien, Konferenzzimmern und Unterrichtsstunden. Einen Moment lang hat Kalla das Gefühl zu ersticken. Sie schüttelt es ab und schließt die Tür zum Kontrollraum.
Denn gehen sie weiter den Flur entlang, bis sie eine große Glastür erreichen. An der mit Fingerabdrücken übersäten Scheibe ist ein Schild angebracht, auf dem steht: »Hier wird alles beschlossen.« Daneben hängt ein gelber Post-it-Zettel mit dem Bild eines ejakulierenden Penis.
In dem Raum sitzen etwa dreißig Männer an einem langen Tisch. Sie haben Kommunikatoren, Computer, Smartphones und Steintafeln vor sich.
Kalla tritt gegen die Tür, doch die zerbricht nicht, sondern bebt nur leicht, und Kalla fällt durch die Wucht ihres Trittes auf den Rücken. Die Männer richten in aller Ruhe den Blick auf sie. Ein Mann mit einem Stetson auf dem Kopf, auf dessen Namensschild Ronald Reagan
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