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Die Hure und der Henker

Die Hure und der Henker

Titel: Die Hure und der Henker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Arlt
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Strohwischen trocken. Der
Buchhändler, die Ellenbogen auf die hölzerne Brüstung gestützt, blickte zu ihr
ins Stroh hinunter.
    »Wie soll der Kleine denn
heißen?«, fragte die Magd.
    »Wiegand«,
schlug Valentin, der gerade von seinem Vortrag kam, vor.
    Nein, Vyfken
wusste nicht alles. Dreimal in jenen drei Jahren, immer zu Ostern, hatte ihn
die Stadt Pritzwalk nach Hause beschieden, weil sie es für richtig hielt,
seinen Wissensstand vom Pfarrherrn prüfen zu lassen. Wie hatte sie sich dann
immer gefreut! Wie gern hatte sie immer gehabt, dass er ihr mittags im Hof oder
abends am Herd von Leipzig, den großen vier, fünf Stockwerke hohen Häusern, den
Handelshöfen mit den zwei Ausfahrten, so gebaut, dass die Fuhrwerke nicht
wenden mussten, der Waage am Brühl, den Ausländern, den vornehmen
Kaufmannsherbergen erzählte.
    Vom Esel
namens Wiegand erzählte er nicht. Und auch nicht von jener Buchhändlersmagd,
Juliana Magdalena mit Namen, die aber nur Magda gerufen wurde, mindestens zehn
Jahre älter war als er und verheiratet – was er anfangs nicht wusste. Von
Anfang an hatte Magda sich, wenn er aus der Stadt von seinen Liefergängen
zurückkam, um die Eselin zu kümmern. Einmal, er hatte das Tier gerade wieder in
den Stall geführt und Magda noch geholfen, den hölzernen Tragsattel abzunehmen,
fragte sie ihn, warum er immer noch bleibe. Nie gehe er gleich. Immer sitze er
noch ein bisschen bei ihr.
    Das stimmte. Er saß auch in
jenem Moment wieder bei ihr. Das heißt: Er saß mit einem Buch neben der
Stalllaterne, während sie den kleinen grauen Wiegand mit getrockneten
Hagebutten verwöhnte, und er suchte krampfhaft nach einer Antwort, denn er
wollte nicht sagen, dass die Laterne im Stall ihm zu Hause eine Kerze ersparte.
    »Na! Nun
warte doch!«, sagte sie zu Wiegand und zu ihm: »Habt Ihr kein Mädchen?«
    Das ging sie nichts an!
    Und dann ging
es sie doch etwas an oder er sie oder sie ihn – im Nachhinein war das nicht
mehr zu klären. Da wusste er nur noch, dass es mit seiner Eigenständigkeit
plötzlich vorbei gewesen war, oder vielmehr, dass es mit ihr ganz plötzlich
angefangen hatte, mit der Eigenständigkeit, partiell und auffällig, in ganz
besonderer Gegend.
    Jedenfalls
verriegelte Magda danach noch öfter die Stalltür, sagte ihm eines Tages auch,
dass ihr Mann sechsunddreißig Jahre älter sei als sie, »Und wie alt bist du?
Achtzehn?«, und dass es dann ja Zeit sei, dass eine ihm beibringe, wie man die
Lanze einlege.
    Davon sagte
er Vyfken nichts.
    Und von
seinem Schmerz, als er aus allen Wolken fiel, auch nichts. Von seinem harten
Aufprall auf dem Boden der Tatsachen, bei dem all die prächtigen Bilder –
Valentin als Ratsherr, Valentin als Professor, Valentin als
Generalsuperintendent – sich in ein Schreibpult, eine amtliche Miene, ein
Vorsprechen im Dekanat und eine Korrespondenz mit der Stadt Pritzwalk
auflösten. Nur der unterste akademische Grad, nur das Bakkalaureat, war
gebührenfrei für solche wie ihn. Schon das Magisterexamen wollte ihm seine
Vaterstadt nicht bezahlen.
    Er schrieb
nach Hause, bekam abschlägige Antwort, schrieb noch einmal: Die Antwort darauf
klang gereizt. Sie war auch nicht mehr von Baumann, dem alten Pfarrherrn,
sondern von Weber, einem neuen, unterschrieben.
    Er hatte Vyfken nichts von
seinen Versuchen, die Wirtin, den Buchhändler, Echter von Mespelbrunn, ja selbst
Magda, die Buchhändlersmagd, zu einem Darlehen zu bewegen, erzählt, nichts
davon, wie er in seiner Dachkammer die Bücher an die Wand warf, an die
Dachsparren, auf die Dielen, wie er darauf herumtrampelte, sie zerriss und sie
dann tagelang hinterher wieder mühsam zusammenflickte, Blöcke in Buchdeckel
passte, ausgerissene Seiten einklebte, heulend, weil gemäß den Statuten des ihm
verliehenen Stipendiums, so stand es in dem Brief, er sich nach dem bestandenen
Bakkalaureat seiner Vaterstadt unverzüglich zur Verfügung zu stellen habe. Eine
Stelle für ihn sei bereits gefunden. Man brauche ihn an der Schule.
    Beim Abschied
von der Weltstadt, denn Leipzig war für ihn eine Welt, hatte er sich damit zu
trösten versucht, dass er als Lehrer immerhin zum Ersten Stande in Pritzwalk
gehöre.
    Dass es nur
noch ein paar Tage seien, wechselnde Fuhrleute, Wagen und Pferde, er zum
letzten Mal in den Herbergen Holzteller und Holzlöffel bekomme, denn bald
schon, bald, stünde ihm Zinngeschirr zu. Bald wäre er immerhin in einem Amt.
    Und dann war
die Amtseinführung gekommen, eine Veranstaltung, die er sich

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