Die Hure und der Henker
wöchentlich mit einer Eselin die Bestellungen aus.
Bald hatte er
die Börse verlassen können. Er mietete sich eine Dachkammer in der Kupfergasse,
lernte und las und lernte und las – auch das, was ihm Spaß machte, deutsche
Gedichte zum Beispiel: »Wie sie herumber schwantzen/mit Hoffart und Finanzen«.
Theobald Hoeck. Er merkte sich auch die Namen der Dichter.
Die eigene
Kammer bei der Witwe Klewe war in Leipzig sein einziger Luxus gewesen. Er
genoss kein Schürzenstipendium, keine Scharmante, kein Studentenliebchen oder
wie sonst man so sagte. Er ging nicht ins Ballhaus, nicht zu anderem Sport,
nicht in die Bier- und Kuchengärten von Connewitz, Stötteritz, Reudnitz. Er
lernte nicht tanzen und nicht Jenischen vom Kotzschenberger, Franken- vom
Elsässer Wein zu unterscheiden. Weder ging er zum Jagen ins Rosenthal, noch
wanderte er zum Fischen an die Elster oder die Pleiße. Auch das Verprügeln von
Stadtwachen, das Verprügeln von Handwerksburschen, das Verprügeln von Bürgern,
das Verprügeln von Kommilitonen, das Verprügeln von Nachtwächtern und was
Krüger, Kleinschmidt, Graf, von Rauschenberg, von Lepke und Eggers sonst noch
für Abwechslung kannten, machten ihm keinen Spaß.
Aber
Leistung, jawohl.
Die würde die Bilder von
Valentin als Ratsherr, Valentin als Professor, Valentin als
Generalsuperintendent wahr machen. Euch werde ich’s zeigen! Euch werde ich’s
noch zeigen!
Er sparte, wo
immer er konnte, erbat sich vom Buchhändler altes Papier, löschte bei Vollmond
die Kerze und mischte sich Tinte aus Schlehen, Eisenvitriol und Alaun immer
selbst. Aber er leistete sich glänzende Beurteilungen, Anerkennungen,
Belobigungen und Preise. Er leistete sich, einen Vortrag über Schwarmgeister in
der Kirchengeschichte ohne schriftliche Stütze zu halten. Er leistete sich, bei
allem Ernst – der ja stets einer misslichen Lage entsprang, wenn kritische
Geister ihrer Zeit einen Spiegel vorhielten, indem sie von besseren Zeiten zu
schwärmen begannen – seine Kommilitonen zu unterhalten. Die saßen im Collegium
Paulinum gedrängt. Die amüsierten sich, als er sagte, dass Benedikt das
abendländische Mönchstum »erfunden habe«. Dass es verkam und der Cluniazenser
bedurfte, um zum Beten und Arbeiten zurückzufinden, man es mit dem Beten aber
dann übertrieb, und zwar so sehr, dass man nicht mehr zum Arbeiten kam. Weshalb
es nur richtig gewesen sei, das Kloster von Citeaux zu kreieren, die
arbeitenden Zisterzienser, die aber dann auch zum gesteigerten Arbeiten der
Laienbrüder bedurften. »Das hat man ja oft«, sagte er. »Die Namhaften ernten
den Ruhm und ihre Hauptarbeit machen dienstbare Laien.«
Alle, bis auf
den Professor, hörten ihm angelegentlich zu. Der Professor Wiegand, neben
Valentin, der vor den Versammelten stand, über sein Pult gebeugt, war in
anderen Angelegenheiten beschäftigt. Er schrieb und schrieb und hob erst den
Kopf, als Trampeln, Trommeln und Klopfen ihm das Ende der Rede anzeigten. Zu
Ende? Aha. Soso. Hm, hm. Er bat Valentin um seine Notizen.
»Ich hab
keine, Herr Professor.«
»Wie! Ihr habt keine!«
»Ich habe mir
keine Notizen gemacht. Ich habe mir überlegt, was zum Thema zu sagen ist, aber
mir keine Notizen gemacht.«
»Das ist
despektierlich!«
Für einen
Moment herrschte Stille im Raum, dann erhob sich ein Raunen und Flüstern. Der
schlanke Blonde, der Valentin schon bei der Immatrikulation aufgefallen war,
der sich bei der Depositio nach Valentins gut gemeintem Rat von ihm abgewandt
hatte und von dem Valentin inzwischen wusste, dass er aus Franken kam, einen
Vater am kaiserlichen Hof hatte und Echter von Mespelbrunn hieß, stand auf,
sagte, es sei sicher nicht in Kleins Absicht gewesen, den Professor in seiner
wichtigen Arbeit zu stören und in ungebührlicher Weise dessen Aufmerksamkeit zu
erzwingen. Es sei Klein offensichtlich, und er denke, da stimmten die
Kommilitonen ihm zu, nur um den Glanz der freien Rede gegangen, und was den
Inhalt betreffe…
Der Professor
schnitt ihm das Wort ab. Es gehe hier nicht um den Inhalt. Es gehe um ein
zutiefst despektierliches Verhalten. Und das Ganze brachte Valentin am Ende des
Semesters das Prädikat »in subtilibus fidei dogmatibus rudis« ein, in
feineren theologischen Fragen unbewandert, und dem Professor Valentins
tiefe Abneigung, die sich unter anderem auch in der Namensgebung für das Fohlen
äußerte, das die Eselin des Buchhändlers geboren hatte und bei dem die Magd am
Nachmittag kniete. Sie rieb das Neugeborene mit
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