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Die Hure und der Henker

Die Hure und der Henker

Titel: Die Hure und der Henker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Arlt
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sa…« Nein, konnte man nicht. Nach der Studentenbörse, in der er wohnen
sollte, das sei billiger, als sich eine Stube zu mieten, war ihm vom Pfarrherrn
eingeschärft worden, hatte er damals ein paar Stunden gesucht. Es gab mehrere,
was er vorher nicht wusste. Die in der Ritterstraße roch appetitlich nach
Essen, aber die Bayern, die dort wohnten, hatten für ihn nichts übrig. Die in
der Nikolaistraße hatte er später wieder verlassen. Nicht, weil ihm der dritte
Stock und die Stube mit den sechs Betten nicht zugesagt hätten. Auch nicht,
weil die Hausordnung nicht zu erfüllen gewesen wäre: die Haustür im Winter um
neun und im Sommer um zehn Uhr abschließen, die Tische und Bänke nicht
beschädigen, nicht saufen, nicht rauchen, nicht Karten spielen. Auch »unmäßiges
Zechen und unanständiges Schreien«, las er damals, waren verboten. Auch »das
Tragen von Waffen und Frauen auf den Stuben«. Er zog wieder aus, weil er Ruhe
zum Lernen brauchte. Weil er mit den Kommilitonen so wenig wie möglich zu tun
haben wollte.
     
     
    In prächtigen
Bildern stellte er sich damals seine Zukunft vor Augen. Diese Bilder, Valentin
als Ratsherr, Valentin als Professor, Valentin als Generalsuperintendent,
wurden nicht im Geringsten beeinträchtigt durch die klägliche Figur, die er
schon am ersten Leipziger Morgen abgab, als man, nach der Immatrikulation mit
feierlichem Einzug der Professoren, Eid und Zepter und Dekan, die
Studienanfänger ins Ballhaus lockte, wo man sie warten und einzeln eintreten
ließ. Ehe sie sich in dem Raum, in dem sonst nur die Bälle und Schläger
aufbewahrt wurden, orientieren konnten, waren sie schon auf einem Stuhl
festgebunden. Man verunstaltete ihnen mit stumpfen Scheren die Haare. Man rieb
sie mit Stiefelwichse und Ziegelmehl ein. Man nahm ihnen das Geld und die
Kleider weg und warf ihnen Lumpen zu. »Wir sind die Schoristen«, sagte der
Anführer der Untäter, ein gewisser Graf, der nur so hieß, keiner war, als er zu
ihnen in die Halle trat, wohin man sie nach dieser Behandlung gebracht hatte,
»und ihr seid die Pennäler. Was seid ihr?! – Ich höre nichts?!«
    »Penn-nä-ler«,
erklang es in jämmerlichem Chor. Der Kleine, der vorhin einen blauen Samtanzug
getragen hatte, saß in einem ihm viel zu großen Leinenwams da. Der Kraushaarige
hatte kein krauses Haar mehr, sie hatten ihn wie ein Schaf geschoren. Der
schlanke Blonde, der Valentin schon bei der Immatrikulation aufgefallen war und
den er für ein adliges Söhnchen hielt, blickte finster aus seiner schwarzroten
Bemalung. Valentin sah ihn die Lippen zusammenpressen. »Sprich lieber mit«,
raunte er ihm zu. »Nein«, sagte der Blonde verächtlich und wandte sich von ihm
ab.
    »Noch einmal.
Was seid ihr?«
    »Penn-nä-ler!«
    »Sehr schön. Und was machen
die Pennäler? – Na? – Ich sag’s euch. Sie dienen. – Sie dienen den Schönsten
ein Jahr, sechs Monate und sechs Tage. Also? Was macht ihr von heute an? Wir…?«
    »Wir dienen den Schönsten ein
Jahr, sechs Monate und sechs Tage.«
    »Depositio«
nannten die das, Absetzung, Niederlage. Für ihn, Valentin, war’s damals keine.
    Schäbige
Kleidung, wie sie die anderen bekamen, trug er schon, man nahm ihm die seine
nicht weg. Sein Geld befand sich in verschiedenen Verstecken, sie hatten nur
gefunden, was ein Räuber finden sollte. Sein Haar – rechts einzelne Strähnen,
links gar nichts mehr – würde wieder wachsen und die Schlimmsten von denen
würde er sich auf jeden Fall merken: Krüger, Kleinschmidt, Graf, von Rauschenberg,
von Lepke und Eggers.
    Er sei hart
im Nehmen, sagten sie später von ihm. Da war er schon selbst Schorist, ohne
allerdings sich bedienen zu lassen. Kleider und Stiefel säuberte er wegen der
Geldverstecke lieber selbst, Bier holen lassen musste er nicht, denn er trank
Wasser und Tee, und mitschreiben lassen musste er auch nicht. Im Gegenteil. Er
kopierte, was er selbst mitschrieb, stellte Exzerpte und Konspekte her und
machte daraus ein Geschäft.
    Es sprach
sich schnell herum: Die Konspekte, die er erstellte, ersparten das Lesen von
Büchern. Auch seine Preise waren akzeptabel: ein viertel Groschen pro hundert
Seiten, jedes angefangene Hundert zählte als ganzes. Bald kannte man ihn in der
Ratsbibliothek am Gewandhaus besser als den eigenen Hausmeister, weshalb man
ihn dort einmal bat, nach dem Schloss der Hoftür zu sehen, und beim Buchhändler
im Gewölbe unten im Kurfürstenhaus verdiente er auch noch etwas, denn für den
lieferte er einmal

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