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Die Hure und der Henker

Die Hure und der Henker

Titel: Die Hure und der Henker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Arlt
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schnaufte sie und stand dabei mitten in
der Diele, wo Judith beschloss, ihren Korb später auszupacken, sich rücklings
an den Tisch lehnte und Jenne zuhörte, sie gebe ja zu, dass es ihrem Robert an
Verstand etwas fehle, das sage auch Anton, ihr Mann. Aber ihre anderen Kinder
seien allesamt wohlgeraten. Die hätten es alle zu etwas gebracht und jeder
Christenmensch trage sein Kreuz. Ihrem Robert, auf den sie deshalb nichts
kommen lasse, der ein liebes Kind sei und vor allem nicht so faul wie diese
dummdreiste Magd und nicht so frech wie diese alte Schandtippe, habe der Herr
dafür seinen Pferdeverstand gegeben, über den mancher in dieser Stadt schon
froh gewesen sei, das wollten wir mal nicht vergessen, und das sage auch Anton,
ihr Mann, und ihr Leben lang hätten Anton und sie, ihr ganzes Leben lang
bisher, den Kobers gedient. Immer sei man mit ihnen zufrieden gewesen. Auch mit
Robert, dem man nie irgendwie zu nahe getreten sei, nie! Aber in diesem Haus
hier…
    Nachdem
Judith noch in derselben Stunde ihren Hausknecht, den rothaarigen Simon,
befragte, der aber nichts gehört und nichts gesehen haben wollte, er habe die
ganze Zeit im Garten den Nussbaum zersägt, sah Judith es einen Tag später
selbst.
    Sie saß im
ersten Stock am Fenster der Schlafstube, um ein neues Band in den Vorhang zu
ziehen, als sie Elsbeth unten über den Hof gehen sah. Elsbeth trug eine
Schüssel voller Abfälle unter dem Arm und Judith sah, wie Roberts Züge sich
aufhellten, wie er innehielt im Fegen, strahlend, auf seinen Besen gestützt,
Elsbeth auf ihrem Weg zum Misthaufen nachsah. Judith sah ihn auch den Mund
bewegen, während Elsbeth mit geleerter Schüssel weiterging in den Garten, und
sie öffnete leise das Fenster. »Feine Jungfer, feine Jungfer, feine Jungfer«,
wurde da laut.
    Als Elsbeth
mit Küchenkräutern zurückkam – Robert hatte seine Fassung gerade wiedererlangt
–, grüßte sie, nun hörbar für Judith, noch einmal: »Guten Tag, Robert!« Dann
war Elsbeth wieder im Haus verschwunden und Robert stand noch immer da, von der
feinen Jungfer begeistert, der feinen Jungfer, feinen Jungfer, feinen Jungfer,
und fand aus seiner Freude nicht wieder heraus.
    Judith ließ Schere und
Maßband fallen und ihre Vorhänge Vorhänge sein. Sie knallte die Tür, fegte die
Galerie entlang, die Treppe hinunter, durch den Gang, in die Küche und rief mit
scharfer Stimme: »Elsbeth!«
    »Nu?« Elsbeth
wusch Petersilie am Spülstein. Freundlich drehte Elsbeth sich um.
    »Augenblicklich
entschuldigst du dich bei Jenne dafür, dass du den Robert hänselst. Jetzt!
Sofort!«
    Der Krug
zersprang. Die Petersilie fiel in den Spülstein. So schnell, wie Judith
hereingestürmt war, war Elsbeth aus der Küche verschwunden.
    »Und das gilt
auch für dich, Ulla!« Ulla stand am Tisch, litt ausdrucksvoll unter der Schärfe
des Rettichs, den sie rieb, und war die Verwunderung selbst: »Ich hab doch gar
nichts gemacht!«
    Elsbeth kam
danach nicht zum Essen. Man wartete ein wenig. Dann musste Ulla sie holen.
Judiths Vater, als Elsbeth sich setzte, grußlos und mit niedergeschlagenen
Augen, sah Judith fragend an. Die zuckte die Achseln. Elsbeth sagte nach dem
wie immer vom Magister gesprochenen Tischgebet auch nicht »Amen«. Ulla brachte
die Suppe, man aß. Jenne brachte den Karpfen, man aß. Nur Kober, der von den günstigen
Wollpreisen sprach und davon, deshalb seine Reise nach Berlin zu verschieben,
schien nicht zu sehen, wie Elsbeth dasaß. Mit einem Gesicht, als hätte nicht
der Karpfen, sondern sie eine Zitronenscheibe im Maul.
    »Was ist denn
los, Elsbeth?«
    Nach dem Essen
war Judith der Sache damals auf den Grund gegangen. Als sie auf ihr Klopfen
keine Antwort bekam, hatte sie unaufgefordert Elsbeths Stube betreten und die
alte Kinderfrau, bäuchlings auf dem Bett leise schluchzend, gefunden. »Was ist
denn los, Elsbeth? Komm, nun sag mir doch mal, was wirklich los ist.«
    Sie setzte
sich auf den Bettrand und tätschelte der Alten den Rücken. Sie wartete, sagte
nichts mehr, ging auch nicht weg. Dann war Elsbeth bereit, sich zu setzen.
    »Komm,
Tränchen abwischen.« Das hatte Elsbeth zu ihr immer gesagt, als sie noch klein
gewesen war. Sie tupfte mit ihrem Tuch auf Elsbeths faltigen Wangen herum.
    Dass diese Jenne eine ganz
schreckliche, herrschsüchtige, rechthaberische Person sei, erfuhr sie dann.
Dass man das ja schon an dem Anton sehe, denn warum sei der wohl so selten zu
Hause! Dass das auch Ulla schon gesagt habe und Simon auch, da könne

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