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Die Hure und der Henker

Die Hure und der Henker

Titel: Die Hure und der Henker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Arlt
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sie
fragen, und dass sie, Elsbeth, sie, die in dieser Küche schon die Breichen für
Judith gekocht und Fläschchen für Judith gewärmt, in der sie mit ihr Ostereier
gefärbt und Plätzchen gebacken und Judith alles gelehrt hatte, was sie ihr
irgend beibringen konnte, dass sie, Elsbeth, in dieser Küche nun nichts mehr zu
sagen habe, »reene goar nischte mehr!«, und sechsundzwanzig Jahre sei sie schon
hier. Vor sechsundzwanzig Jahren habe sie ihr schönes Schlesierland verlassen,
weil sie es damals nicht über sich brachte, den Witwer mit seinem Kinde im
Unglück zu lassen. Im Unglück, in das er sie einmal selbst gestürzt hatte, als
er das Goldberger Gymnasium verließ. Sechsundzwanzig Jahre lang sei sie nun
hier. Große Festlichkeiten habe es hier früher gegeben. Sie, Elsbeth, denn
Judith war damals noch klein, habe das fremde Gesinde ganz allein dirigiert!
Und nun habe sie auf einmal nichts mehr zu sagen! Wenn sie backen wolle, sei
der Herd stets besetzt! Aber ihr Kuchen scheine ja auch keinem in diesem Hause
zu fehlen! Sie habe es so satt. Das Leben hier sei unerträglich geworden! Aber
wohin solle sie gehen! Sie könne ja nicht einmal kündigen! Sie wisse ja nicht
mal wohin!
    Es hatte dann
einer langen Unterredung bedurft zwischen Judith, Elsbeth und Jenne. Es hatte
einer Flasche des besten Kräuterschnapses bedurft, die dabei in der Tischmitte
stand, wie Simon Ulla berichtete, nachdem er einmal Feuerholz brachte. Sie
sprächen da drin über die Kindheit.
    »Wessen?«
    »Weiß ich nicht. Nur über die
Kindheit.«
    »So, wie du
deinen Robert beschützt«, sagte Judith derweilen in der Diele, »hat Elsbeth
mich beschützt, als ich klein war. Damals unterstand ihr die Küche.«
    Es hatte
eines genau ausgearbeiteten Küchenplans bedurft, der Elsbeths Regierungsgewalt
für Montag, Mittwoch und Freitag und Jennes für Dienstag, Donnerstag und
Samstag festlegte, während die Sonntage halbiert wurden, Jenne vor dem Mittag
kochte und Elsbeth nach dem Mittag backte. Es hatte, wozu Judith auch die
Männer instruieren musste, eines streng gleichgewichteten Lobes von Prignitzer
Sauerfleisch und Schlesischem Himmelreich, Pritzwalker Biersuppe und Liegnitzer
Lerchen bedurft und vor allem mehrerer Sonntage, an denen sich das ganze Haus
mit Schlesischem Streuselkuchen vollstopfte, Kober kein Abendbrot mehr wollte,
Anton ächzend auf seinem Bett lag und Jenne, die am meisten aß, blaurot im
Gesicht wurde, bis Elsbeth es wieder glauben konnte, dass Judith sie liebte.
    Das
»Bunzeltippel« war der Endpunkt ihrer Versöhnung.
    Einträchtig
wie in früheren Zeiten hatten sie, als der Türklopfer dröhnte, auf den von
Judiths Kleidern freigeräumten Fensterbänken einander gegenübergesessen. Judith
erzählte vom Markt. Wie voll es gewesen sei, wie verstopft die Straßen. Wen sie
gesehen und gesprochen, was sie erlebt und beobachtet und wie Kober ihr einen
Wunsch nach dem anderen erfüllt habe. Wie er auch gekauft habe, was sie nicht
wünschte, denn es mache ihm Spaß, habe er gesagt, sie zu verwöhnen. Und wie er
es den ganzen Nachmittag getan habe. Sie verwöhnt und verwöhnt und dann sich
selbst mit grünen Seidenstrümpfen und einem neuen Sattel gleich mit.
    Und wie sie
auch von Fremden angesprochen und zu ihrer Heirat beglückwünscht worden sei.
Wie die Peetzin, Elsbeth kenne sie doch?, ihr gestattet habe, sie Margarethe zu
nennen, man müsse ja deshalb nicht gleich Du sagen. »Sie ist dreiundneunzig!«,
sagte Judith. »Aber gleich sagen wir nicht Du!«
    Es dämmerte.
Die Marktstraße leerte sich. Nur noch vereinzelt fuhren Wagen stadtauswärts.
Elsbeth lächelte. Es war wirklich wie früher.
    Außer den Berichten von
Tischen, Ständen und Buden, von Feuerschluckern, Possenreißern, Bärenführern
und einer Jungfrau aus Giesensdorf, die keine mehr war, weshalb, »stell dir
vor, Elsbeth«, die Knechte des Marktmeisters sie so lange verfolgten, bis sie
sie im Gedränge vor dem Podium des Baders, wo beim Zähneziehen Hochbetrieb war,
aufgreifen konnten, wo sie ihr vor allem Volk ihre beiden unehelichen Kinder
vorhielten, sie des Marktes verwiesen und ihr Strafe androhten für den Fall,
dass sie sich noch einmal mit offenen Haaren, wie eine ehrbare Jungfer, blicken
lasse, außer den Geschichten von Hochbetrieb, Verwöhntwerden, Sätteln, grünen
Seidenstrümpfen und Marktverweisen und was Judith sonst noch so alles erzählte,
verstand Elsbeth auch, was sie nicht erzählte. Was sie nur andeutete.
Was hier und da flüchtig

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