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Die Hure und der Henker

Die Hure und der Henker

Titel: Die Hure und der Henker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Arlt
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einem jemand täglich neue Drucksachen bringt?
    Per Post
gekommen, von Boten gebracht, in Ledereinbänden oder in Pappe, meist auch mit
einem Porträt des Verstorbenen, »Rede auf die Todesfeier des Magisters und
Bürgermeisters David Heinisch«, »Rede bei der Trauerfeier für den Magister…«,
»Rede in den Tagen der Trauer…«, »Trauerrede auf den höchst betrüblichen
Hintritt…«, und man starrt die Abbildung an, einen mit seinem Doppelkinn über
der Mühlsteinhalskrause wuchtig wirkenden, streng blickenden Mann, in dem man
jenen nicht wiedererkennt, der einem einmal versprochen hatte, damals, als man
noch klein war, einen mitzunehmen zur Huldigung des Kurfürsten nach Wittstock,
und man würde den Kurfürsten sehen, das Kurschwert, ihm vorangetragen, die
knienden, schwörenden Untertanen, aber dann wurde nichts daraus, denn in der
Stadt war die Pest und man durfte nicht reisen, am allerwenigsten zur Huldigung
eines Fürsten, und der Vater hatte sie damals getröstet, sie auf den Arm
genommen und war nach dem Ende der Pest mit Vyfken und ihr in das Hainholz
gefahren, wo sie auf einer Decke im Grünen saßen und aus dem Korb herrliche
Sachen verspeisten, und der Mann damals, der ihr die Geschichte vom Räuber
erzählte, Heine Clemens, den es im Hainholz mal gab, bis kluge Männer wie der
Vater ihn unschädlich machten, der sah anders aus, nicht streng, nicht wuchtig,
nicht hölzern. Und sie starrte den Holzschnitt an. Das soll mein Vater sein?
Das?
    Verliebt man
sich in jemanden, zu dem man das zwar nicht sagt, der das aber versteht?
    »Also wenn
Ihr mich fragt: Ich finde ihn überhaupt nicht ähnlich. Ich habe ihn anders in
Erinnerung. Und Ihr wohl erst recht.«
    Verliebt man
sich in Bemerkungen wie diese?
    Oder in einen
Schönheitssinn, der es für notwendig hält, beim Abendessen den goldgelben
Himmel zwischen dem dunklen Nussbaumgeäst zu erwähnen? Und ihn »himmlische
Schönheit« zu nennen? Worauf Kober sich gegen einen Angriff verteidigte, der
gar nicht stattgefunden hatte: »Also ich bin eher für die irdischen Dinge.«
    Was nicht zu
überhören war, wenn er von den Geldsorten sprach, die in Umlauf waren, und man
solle sich vor gewissen Sorten Kleingeld hüten, neuen Münzen mit wenig
Silbergehalt. Besonders wertlos seien jene, auf denen ein Jagdhorn abgebildet
war. Sie sollten sich an die mit dem Zeichen »LM« halten.
    »Leck mich«,
sagte Elsbeth und Judith zog die Brauen zusammen, schüttelte den Kopf, aber
lächelte.
    »Liese
Mahlers«, sagte Valentin und griff nach dem Bierkrug.
    »Genau!«,
sagte Kober. »Damit könnt ihr’s euch merken.«
    Er war nun
der Hausherr. Saß an der Stirnseite auf Heinischens Platz. Drahtig, schlank, ja
athletisch. Nichts, auch der Appetit nicht, mit dem er Ulla noch einmal seinen
Teller hinhielt, weil er die Blutwurst mit dem Gerstenschrot liebte, ließ die
Gestalt, die er einmal haben würde, erahnen.
    Ihm fehlte
der Schwiegervater nicht, aber Judith fehlte er, ihr Vater.
    Während dem neuen Hausherrn
Blutwurst mit Gerstenschrot schmeckten, brachte Elsbeth das Gespräch auf den
Spitzbuben. Der beschäftigte die Nachtwächter schon seit Wochen.
    »Nee aber ooch, su a Lerge!«
    Denn es
wanderten in Pritzwalk die Leitern des Nachts.
    Kobers
Leiter, die gewöhnlich längs der Mauer des Pferdestalls lag, lehnte am Morgen
an Wordenhoffs Fenster.
    Jemand musste
sie geholt und dorthin getragen haben, ohne dass Diso in der Nacht angeschlagen
hatte, Kunows Leiter lehnte bei Gartzens, Gartzens bei Schaums und Schaums bei
der Witwe von Berend Rembken.
    Auf die Witwe
von Berend Rembken war Kober nicht gut zu sprechen. Die konnte ja gerne dabei
sein, wenn Judith, wie es nach der Geburt eines Kindes üblich war, ein paar
Frauen zu sich einlud. Er gönnte ihr auch von Herzen den süßen Branntwein, mit
dem Judith ihre Gäste traktiert hatte. Aber dass man ihn immer noch darauf
ansprach, weil es danach überall in der Stadt zu ärgerlichen Auftritten mit
lallenden Weibern gekommen war, ging ihm entschieden zu weit. Die Witwe von
Berend Rembken war dabei die Schlimmste gewesen!
    Jenne, die Köchin, brachte
eine Schale mit Pfirsichen und Trauben herein, rückte auf dem Tisch die
Schüsseln und Teller beiseite und schaffte Platz.
    »Eure Leiter
zu Wordenhoffs«, überlegte Valentin halblaut, »Wordenhoffs zu Kunows, Kunows zu
Gartzens, Gartzens zu Schaums, Schaums zu der Rembken… das ist eine Linie,
nicht ganz gerade, aber doch eine Linie. Von Osten nach Westen, quer durch

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