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Die Hure und der Henker

Die Hure und der Henker

Titel: Die Hure und der Henker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Arlt
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Erlösung,
oder?«
    »Und trotz
des methodischen Unterschieds im Herangehen ist der Geist der Geschichte
derselbe geblieben.«
    Und da, damals, im vorigen
Jahr, gerade als er sagte: »Vom gleichen Geist inspiriert«, sah er die Ente!
    Mitten auf dem
Oberteich. Reglos. Starr.
    »Da ist eine Ente
festgefroren!«, hatte er gerufen und Heinisch – mit einem »Wo?« – war
herumgefahren, so erschrocken, so schnell, dass plötzlich zu sehen war, was
dieser disziplinierte, ruhige, beherrschte Mann hatte, wenn er einmal die
Beherrschung verlor. Erbarmen mit einer Ente.
    Verliebt man
sich in jemanden, der einem davon erzählt?
     
     
    Du hast dich
verliebt, Judith. So, wie man sich verläuft, verspricht, verschreibt – aber so
hast du das erst später gesehen. Zunächst horchtest du auf, wenn man von ihm
erzählte.
    »Wie er ein
Stück rohes Rindfleisch ansieht! Wie er es ›schön marmoriert‹ findet!« – Ulla,
die Magd, klang nahezu empört!
    »Die Gartzens
haben sich neue Stühle kommen lassen und auch die Lehrer eingeladen, damit sie
diese Sitzmöbel gehörig bestaunen. Ziernägel! Rosshaarbezüge! Helle,
wohlgemerkt. Die Kantorin sagte noch: ›Da traut man sich ja nicht, sich zu
setzen!‹ Valentin aber traute sich. Und nun trauen die Gartzens sich nicht
mehr, auch Valentin einzuladen!«
    Benígna, als
sie es erzählte, kicherte und wollte wissen, ob er bei Judith auch so sei.
    »Das kann ich nicht sagen.«
    Zunächst konntest du damals
nicht sagen, auch dir selbst nicht, warum du immer öfter ein Kräuterbuch
brauchtest. Dann konntest du nicht sagen, dir nicht und ihm schon gar nicht,
warum du immer länger in der Bibliothek bliebst, wo er am Tisch saß – vor
Bücherstapeln, von denen er ein Buch nach dem anderen nahm, Verfasser und Titel
in Kladden eintrug, oder wo er an den Schränken wirtschaftete, Bücher aus der
vollen dritten in die halbvolle vierte Reihe versetzend, aus der vollen zweiten
in die nun nur noch halbvolle dritte und so weiter, was er schon eine ganze
Weile so getrieben haben musste, denn er schwitzte. Von seinem Mittelscheitel war
nichts mehr zu sehen. Die langen rotbraunen Haare hingen ihm wirr ins Gesicht.
    »Ich muss nur
mal an meinen Schrank.«
    »Der Stapel! Vorsicht,
Judith!«
    Von Vorsicht
war erst später die Rede.
    Zunächst glaubtest du, du
bräuchtest ja keine.
    Was war schon
dabei, wenn du mit ihm über deinen Vater sprachst. Seine ersten Jahre in
Pritzwalk. Seinen wachsenden Ruhm.
    »Mit dem Dichter Prätorius
war er befreundet. Wusstet Ihr das?«
    »Mit Caspar
Präorius? Dem märkischen Ovid?«
    »Ja, er war
nach Garcaeus Schulrektor, als mein Vater Konrektor war.« Und um deine Bildung
zu zeigen, begannst du auch noch zu zitieren: »Doctrinae genetrix…«, den Vers
von Pritzwalk als Gebärerin von Doktoren.
    Und erschrakst. Über den Ton,
in dem er ihn wiederholte. »Doctrinae genetrix!« Pritzwalk! Die Stadt, die ihn
nicht einmal Magister werden ließ, geschweige denn Doktor!
    Du hörtest
ihm zu. Du hattest dabei das Gefühl, dass er dich schonte. Dass er versuchte,
den Graben nicht zu tief werden zu lassen, der sich auftat zwischen Arm und
Reich, zwischen ihm und dir.
    Als wenige
Tage später von einem Boten ein Brief abgegeben wurde, den Ulla dir aufgeregt
brachte, denn es war ein Siegel mit einem Wappen darauf und du entziffertest
als Absender einen adligen Namen, »Echter von Mespelbrunn«, und der Brief war
an Valentin adressiert – nicht etwa an Kober! –, als wenige Tage später Kober
und Valentin den Fall beim Essen besprachen, jenen Echter, wie er in Leipzig
war, und Kober meinte, der könne doch, wenn sein Vater beim Kaiser sei,
Valentin nützen, und dann schlug Kober ihm auf die Schulter: »Na, Klein, aus
dem Dreck bist du raus!«, da sagtest du spitz: »Er ist nicht aus dem Dreck, er
ist aus der Armut gekommen.«
     
     
    Und er? Der
früher als du begriff, was euch blühte? Der eine Neuerscheinung einordnen
wollte, das Buch hin und her drehte, »Kurze, jedoch gründliche Beschreibung der
ganzen Churfürstlichen Mark Brandenburg…« und so weiter, von einem Gottfried
von Wernstadt, der ihm, wo es um die Bildung ging, aus dem Herzen sprach, in
der Tat schien die Gelehrtheit in der Mark Brandenburg jetzt nichts mehr wert,
der ihn aber, wo es um Keuschheit ging, schwer irritierte: Die Märker neigten
zur Unkeuschheit nicht! – Und er, der demnach kein Märker war?!
    Er bemühte
sich, so sehr er nur konnte. Er rückte so nah an den Tisch, wie es ihm nur
möglich

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