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Die Hure und der Henker

Die Hure und der Henker

Titel: Die Hure und der Henker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Arlt
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den
Menschen die Kinder stahl, während man sonst von gestohlenen Kindern, dem
Mädchenkrieg und den Zwergen in unserer Gegend erzählte, die so winzig seien –
hatte die blonde Libuše immer behauptet –, dass sie in halben Eierschalen ihr
Abendessen kochten, war man diesmal auf gestohlene Güter, die Kriegsfolgen und
die ums Zwölffache gestiegenen Preise für das eigene Abendessen gekommen. Und
jemand hatte gesagt, an der Münzverschlechterung sei auch dieser Liechtenstein
schuld.
    Ambroska,
deren Mann im letzten Winter trotz vieler Einreibungen mit Hundefett an der
Brustkrankheit gestorben war und die sich und die Kinder nun mehr schlecht als
recht mit dem winzigen Laden durchbrachte, konnte nur bestätigen, was die
Geschäftsleute schon wussten, was sich aber wohl noch nicht ganz
herumgesprochen hatte: dass man das kursierende wertlose Geld nun zum Nennwert
annehmen musste.
    »Was ist das, ein Nennwert?«,
wollte eines der kleineren Mädchen, die mit bei uns Frauen am Tisch saßen,
wissen.
    »Das ist der
Wert, der auf der Münze genannt ist. Wenn ›fünf Taler‹ draufsteht, musst du die
Münze für fünf Taler nehmen, auch wenn nur Silber für drei Taler drin ist.«
    »Dann krieg ich jetzt nur
drei Taler wieder, wenn ich jemandem fünf geborgt hab?«
    »So ist es. Obwohl du fünf
Geldstücke in der Hand hältst.«
    »Hat das auch
der Liechtenstein gemacht?«
    Liechtenstein!
    Da war er wieder, der Name!
Liechtenstein, der einmal zur Brüdergemeinde gehörte. Liechtenstein, der erst
Kaiser Rudolf diente und dann seinem Feind, dem späteren Kaiser Matthias.
Liechtenstein, der sich lieber nicht dem evangelischen König, sondern dem
katholischen Kaiser anschloss. Liechtenstein, der vom dankbaren Kaiser deshalb
damit betraut wurde, die Aufständischen festzunehmen, ihnen auf kaiserlichen
Befehl die Zungen zu durchnageln oder herauszuschneiden, die Hände abzuhacken,
sie zu vierteilen, zu enthaupten, zu hängen. Liechtenstein, dessen Landbesitz
immer größer wurde, weil er die Güter der Rebellen »sicherte«, wie er es
nannte. Liechtenstein, der alle nicht katholischen Adelsgeschlechter auswies,
sämtliche Pfarren mit alten oder neuen Katholiken besetzte und der dem
Kaiserlichen Münzkonsortium vorstand. Liechtenstein. Ein deutscher Name.
    Und der Name
des Beamten, der Ambroska die amtlichen Bauunterlagen für den Umbau ihres
Ladens nicht gab, weil er sie erst bearbeiten musste, war auch ein deutscher.
Der Name des Bankinhabers, der ihr den Kredit nicht bewilligte ohne
Bauunterlagen, war auch ein deutscher. Auch der Name unter der
Enteignungsurkunde war deutsch.
    Man hatte ihr
im letzten Monat den Laden weggenommen, denn sie habe das Gebäude verkommen
lassen.
    »Ich sag’s
doch«, sagte Ambroska, zupfte mit uns Federn am Tisch und vergoss keine Träne,
»ich sag’s doch«, sagte sie unheimlich ruhig, »die Deutschen sind Schweine.«
    Und Vašek,
unser freundlicher Nachbar Vašek, sprang auf, fast so weiß wie die Federn im
Gesicht, die, denn er saß in der Nähe des Tisches, vom Luftzug durch die Gegend
flogen: »Das nimmst du zurück!«
    Er sah aus,
als wolle er sie auf der Stelle verprügeln. Peter, der Böttcher, halb
Deutscher, halb Tscheche wie Vášeks Kinder, versuchte ihn wieder auf die Bank
zu ziehen. Auch Margarete hatte ihn beschwichtigen wollen: »Nein, Vašek, nein,
so hat doch die Ambroska das nicht gemeint!«
    Da sagte
Ambroska: »Doch.«
    Und führte
eine Bemerkung an, die Vášeks Margarete über unseren Bischof Komenský gemacht
haben sollte. Dass er ein Weichling sei. Dass er, statt seine Beziehungen
spielen zu lassen, die, wie man wisse, bis nach Den Haag und nach Schweden
reichten, zusehe, wie Tausende an den Bettelstab kämen. Wie Schlösser, Häuser,
Handwerksbetriebe den Besitzer wechselten und halb Mähren schon in fremder Hand
sei. Dass dieser Bischof nichts Besseres zu tun habe, als jetzt, in dieser
Zeit, mit der Cyrillová Hochzeit zu feiern!
    In dem
Streit, der dann ausbrach und an dem sich alle beteiligten, erlebte ich zum
ersten Mal, dass alle gleichzeitig recht haben konnten.
    Und wo war nun die Wahrheit?
    Jedenfalls
ging mir schon lange, bevor ich Gehängte, Gepfählte und die Köpfe Enthaupteter
sah, die Forderung, »dass wahrhafte Christen die Wahrheit verteidigen bis zum
Tode«, zu weit. Ich machte noch mit. Half im nächsten November mit den anderen
suchen. »Vášek! Vášek!« – Jura rief: »Vašek! Wo bist du denn?« – Margarete:
»Vašek! Es hilft doch nichts.« Und

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