Die Hure und der Henker
gelegentlich mit dem Dudelsack unter dem Arm zu Dorffesten
zog und dem die Mehrstimmigkeit der Katholiken gefiel, ließ ich wissen, dass
Gott diese Mehrstimmigkeit nicht wollte. Immer sei der Gesang unserer Gemeinde
einstimmig gewesen. So wollte es Gott.
Weil immer
noch hier und da herrenloses Kriegsvolk unterwegs war, durften wir uns nicht
weit entfernen, saßen also am Sonntagnachmittag bei Vašek im Schuppen, wo Vašek
den Feiertag heiligte, wie er sagte, indem er seinem Vergnügen nachging. Sein
Vergnügen und das aller Imker in Stramberg waren die lustigen Bienenstöcke, die
nur Vašek so gut zu schnitzen verstand: ein schmollendes Gesicht aus einem
Stück Baumstamm oder ein lachendes oder erstauntes, mit offenen Mündern als
Flugloch. Und er hatte dem Stamm schon Augen, Nase und Ohren gegeben, als ich
von Gottes musikalischen Vorlieben sprach.
»Und woher weißt du, was Gott
will?«, fragte Vašek.
Mein Bruder Jura, der nicht
erkennen wollte, dass der neue Bienenstock ihm ähnlich sah, kam mir zu Hilfe,
was ich ihm hoch anrechnete.
»Es kommt auf
die Wahrheit an, nicht auf die Schönheit.«
Vašek
glättete die Wangen und betonte an seinem Werk Juras Stülpnase noch. »Und was«,
fragte er, »an der Schönheit ist Lüge?«
Und ich,
statt die Wahrheit zu sagen, dass die Mehrstimmigkeit nämlich auch mir gefiel,
dass ich sie mir aber nicht gefallen lassen wollte, gab damals die Ansicht
unserer Mutter zum Besten: dass so ein Gesang Ausdruck menschlicher Eitelkeit
sei. Dass die Musizierenden nicht das Gotteslob, sondern ihr Talent in den
Vordergrund stellten. Und als Vašek sagte, das Talent sei doch von Gott –
undeutlich, weil mit einem Messer zwischen den Zähnen –, fand ich das deutlich
genug: Auch Vašek also verriet Gott, den Herrn.
Die Wahrheit
suchen, die Wahrheit hören, die Wahrheit lernen, die Wahrheit lieben! Wahr ist,
dass wir vorher keine Feindschaften kannten. Auch nicht in unserem Verhältnis
zu den Katholiken, sollten wir doch nicht an die Kirche, sondern an Gott
glauben, und auch nicht in unserem Verhältnis zu den Deutschen, das vorher kein
gesondertes war, gehörten sie doch zu uns, waren sie doch Gemeindemitglieder.
Dass man uns Böhmische und
Mährische Brüder nannte, was mir schon deshalb immer missfallen hatte, weil wir
auch Schwestern waren und unser Bischof Komenský nicht wollte, dass man
zwischen Jungen und Mädchen in der Wichtigkeit einen Unterschied machte, hatte
nur mit dem Landstrich zu tun, den wir bewohnten, und zwar Deutsche und
Tschechen gemeinsam. In unserer Gegend sprachen fast alle beide Sprachen. Alle
pflegten die gleichen Bräuche. Alle gingen in die Schulen der Brüdergemeinde
und lernten kostenlos Latein und Griechisch, und zwar Jungen und Mädchen
gemeinsam. Die Geschichte des Großmährischen Reiches. Die vier mythischen Berge
der Beskiden. Es gab Deutsche, die Vondráček und Kratochvíl, und
Tschechen, die Rabenseiffner und Dienstbier hießen. Es gab lustige Ehen nicht
nur zwischen Vašek und Margarete, sondern auch zwischen Wörtern wie dem
deutschen »wandern«, das mit dem tschechischen »putovat«, was beides dasselbe
bedeutete, das Wörtchen »vandrovat« zeugte. Immer wanderten wir oder putovali
jsme oder jsme vandrovali im Winter durch den Schnee nach Stramberg hinunter
oder man kam zu uns hinauf oder es ging für uns nur ein Stückchen Hang abwärts,
wenn das Federnschleißen bei Margarete und Vašek stattfand. Und noch nie, wenn
der Ofen Hitze warf, das Holz in ihm knackte, die Frauen am Tisch in der Mitte
saßen, die Männer auf den Bänken entlang der Wände, war ein Satz gefallen wie:
»Die Deutschen sind Schweine.«
Es war die
tüchtige Ambroska, die das sagte.
Denn während
sonst beim Federnschleißen immer die Scherze hin und her geflogen waren, man
den abgehackten Daumen von Bohuš, das uneheliche Kind von Anka und andere
Unglücksfälle des letzten Jahres besprach oder die Glücksfälle wie etwa den,
dass die bucklige Miroslava aus Kocvínek nun doch noch einen Mann bekam, wenn
auch nur einen ebenfalls schadhaften Schuster, während sonst gelacht wurde,
gesungen – einstimmig natürlich – oder geschwiegen, wenn die blonde Libuše
Poliačiková von den Wassermännern in den Flüssen und Teichen erzählte, die
die Seelen der Ertrunkenen in kleine, sorgfältig beschriftete Töpfchen
steckten, von denen sie schon viele Regale voll hatten, oder von der Mittagsfrau,
der man an Sommermittagen in Stille, Glut und Feldern begegnete und die
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