Die Hure und der Henker
Geldverschlechterung und dass die Lohnempfänger am schlechtesten dran
seien, die müssten die Münzen nehmen, die sie bekämen. »Wogegen Kober mit
Sachwerten handeln kann«, sagte er.
»Ach ja?« So hatte sie das
noch gar nicht gesehen.
Sie redeten über ihre
Hochzeit und den Unstern und das Gedächtnis der Leute. Sie redeten über seine
Einsilbigkeit an dem Tag, an jenem Markttag, an dem er ins Haus gekommen war.
Dass sie sein Kommen vergessen hatte und wie erschrocken sie gewesen war. »Das
habt Ihr aber gut versteckt. Ich hab davon nichts bemerkt.« Dass er wohl Glück
gehabt habe mit seiner Ziehmutter Vyfken, so wie sie ja auch mit ihrer
schlesischen Elsbeth. Wobei sie sich manchmal frage, was zwischen ihrem Vater
und Elsbeth gewesen sei.
»Könnt Ihr
Elsbeth nicht fragen?«
»Hab ich
schon. Mehr erzählt sie mir nicht.«
Sie redeten
über Mütter und über Mütterlichkeit. Über Heinisch und Elsbeth. Über Goldberg
und Pritzwalk. Sie redeten über Elsbeths schlesische Ausdrücke, Wörter wie
»Springauf« und »Pumpelrose« und »Bichel« und »Bihm« und »Lerge« und »Gake«.
»Bichel ist
ein Büchlein, oder?«
»Ja, und Bihm ein Böhme, das
heißt in diesem Fall, eine Münze.«
»Und Lerge?«
»Kann vieles
sein. Eine Lerge ist Anton, wenn er hinter Jennes Rücken der Ulla zuzwinkert.
Aber Robert ist auch eine Lerge, wenn er etwas Lustiges sagt. Und wenn etwas zu
klein ausfällt oder zu kümmerlich, ist das auch eine Lerge.«
»Ach so!
Deshalb hat sie beim Essen enttäuscht ›Su a Lerge‹ gesagt!«
»Ja. Weil ihr
der Hering zu klein war.«
»Und Gake?«
Sie saß auf
dem Hocker vor ihrem Schrank mit den Kräuterbüchern und sah, dass er sich
irgendetwas aufschrieb.
»Gake?… Gake…
Eine Gake ist das, was die kleine Neufeld ist.«
»Die mit den
zwei Kindern?«
Sie nickte.
»Ach ja, und
warum?«
»Weil sie meiner Freundin
Benígna, die jetzt einunddreißig ist, müsst Ihr wissen, Mann und Kinder
voraushat und sich deshalb das Recht nimmt, Benígna ›weltfremd‹ zu nennen.«
»Sie hält
also, was sie kennt, für die Welt.«
Sie redeten
damals über alles. Über fast alles. Über all das, worüber Judith, falls
überhaupt, bis dahin nur mit Benígna hatte reden können, auch über nicht
gesicherte Wahrheiten wie: dass die Arimaspen einäugig sind, die Hyperboreer
jeden Tag feiern, die Kimmerier in ewiger Finsternis wohnen und Feuersteine
alles entzünden, was ihnen begegnet. Sie redeten über Falsch und Richtig, Recht
und Unrecht und dass Benígna ja schon zweimal hätte heiraten können, aber immer
habe ihre Mutter, die dann allein gewesen wäre mit ihren zu riesigen Klumpen
geschwollenen Füßen und die allerdings wirklich viel Hilfe brauche, die
Anbahnung des Verlöbnisses hintertrieben, und dass es nicht so leicht sei mit
Recht und Unrecht, dass Benígnas Recht auf Mann und Kinder für sie ein Unrecht
an ihrer Mutter bedeute.
Sie redeten
über das Los der Männer und über das Los der Frauen und dass Sigismund Schaum
auf die Frauen gar nicht genug schimpfen könne, dabei sei seine Anna – »Die
Erste? Oder die mit den Apfelbacken?« – »Stimmt, seine Erste hieß ja auch Anna,
nein, die jetzige, die mit den Apfelbacken, das ist so eine Liebe, Valentin, so
eine Sanfte! – Trotzdem muss sie bei Schaum dafür, dass Eva Adam den Apfel gab,
büßen.«
»Nun, da gibt
es auch eine andere Ansicht. Die, dass nicht mit Eva die Sünde begann.
Die vertritt Agrippa von Nettesheim. Er weist darauf hin, dass das Verbot, vom
Baum der Erkenntnis zu essen, für Eva nicht gelten konnte, denn es wurde nur
gegenüber Adam ausgesprochen und Eva war zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht
erschaffen.«
Sie redeten
immer in der Bibliothek. Das fiel auch niemandem auf, denn nachdem die schlesische
Elsbeth Kobers Hochzeitsnacht gestört hatte, waren die Räume im Haus neu
verteilt und ein großes Umziehen mit Wäschestapeln, Nachttöpfen, Gesangbüchern,
Decken und Vorhängen veranstaltet worden. Kober hatte ein neues Bett bauen
lassen: mit vier gedrechselten Pfosten, einem Baldachin und am Kopfende einer
geschnitzten Kartusche mit dem Kober’schen Wappen, dem Herzen, aus dem drei
Eicheln sprossen. Das Bett war so groß, dass es in Einzelteilen geliefert wurde
und erst im Haus zusammengebaut werden konnte, und die eheliche Schlafstube
wurde auf die Hofseite des Hauses verlegt. In die bisherige zog Elsbeth, die
sich über die Nachmittagssonne und den Einblick in die Marktstraße freute.
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