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Die Hure und der Henker

Die Hure und der Henker

Titel: Die Hure und der Henker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Arlt
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In
Elsbeths frei gewordene zog Ulla. Ullas bisherige Kammer blieb leer, sodass im
zweiten Stock nur noch Valentin wohnte.
    Auch ihre
eigene Stube hatte Judith verlegt. Aus der Studierstube ihres Vaters wurden die
Bücher und das Stehpult entfernt. Das Stehpult kam zu Valentin, die Bücher in
die Bibliothek. Dafür kamen ein weiterer Stuhl und ihr Nähtisch hinein, ihr
Augsburger Schreibschrank und, was sich später als besonders wichtig erweisen
sollte, das Faulbett samt einer Matratze mit einem Bezug aus rot-weiß
gestreifter Seide, einem Decktuch, fünf grünen Kissen und einem roten. Diese
Stube hatte zwei Türen, eine zur Galerie, eine in die Bibliothek.
     
     
    »Joachim!
Schön, dass du wieder da bist! Wie war es in Berlin?«
    »Das Bankhaus Weiler &
Essenbrücher wird immer geiziger und ich – du, nein danke, das schaffe ich
nicht mehr, ich bin so satt, ich habe nämlich schon in Reckenthin gegessen.«
    »In
Reckenthin?!«
    »Zwischen
Hoppenrade und Reckenthin ist uns der Deichselriemen gerissen. Ich bin aufs
Sattelpferd umgestiegen. Im Dorf hat Anton den Wagen in Ordnung gebracht. In
der Zwischenzeit hab ich gegessen. – Was macht mein Sohn?«
    »Ich glaube, jetzt kommen
auch die unteren Zähnchen. Und er redet mit Armen und Beinen, worin Elsbeth
ganze Sätze erkennt. Wenn sie mit ihm im Hof sitzt, schleicht Robert immer um
den Nussbaum herum. Dein Sohn ist ein feines Kindchen, feines Kindchen, feines
Kindchen. Und weißt du, was inzwischen hier los war? Inzwischen wandern hier
nicht nur Leitern, Hunde und Wäsche, sondern auch Zunftzeichen, und am
Marktbrunnen war heute Morgen das Rohr angebohrt und den Brunnenmeister traf
fast der Schlag. Er hat…«
    Zu erzählen,
was der Brunnenmeister hatte, gelang Judith nicht mehr. Kober sah auch aus, als
habe der Schlag ihn getroffen. Schlaff, den Kopf pendeln lassend, hing er auf
dem Stuhl.
    »Erzähl es
mir morgen, Schatz.« Er streckte ihr das Bein hin zum Stiefelausziehen, ächzte,
sagte noch einmal »Morgen« und stand auf und wankte.
    »Ja, aber der Brunnenmeister
hat gesagt, du sollst…« – Kober hörte auch nicht mehr, was er sollte. Der
Vorhang wogte, dahinter fiel eine Tür ins Schloss. Sie stellte seine Stiefel
weg und hörte im Gang seine schlurfenden Schritte. Sie löschte die Kerzen, sah,
wie immer abends, noch einmal in die Küche. Es war alles in Ordnung. Etwas
später fiel Kober mit einem Seufzer ins Bett.
    Da saß sie
auf des großen Bettes anderer Seite. Gleich, wusste sie, würde er wieder munter
sein. Sie legte sich hin. Wartete. Nanu?
    Sie sah zur
Seite. Er schlief noch nicht, aber er lag auf dem Rücken und hatte die Augen
geschlossen.
    Kein
Sich-auf-die-Seite-Legen? Kein Sie-Ansehen? Kein Näherrücken? Nichts rückt und
rührt sich?
    Also, wenn er
sogar auf die ehelichen Delikatessen freiwillig Verzicht leistete, war er
wirklich todmüde.
     
     
    Und am nächsten
Morgen musste er schnell auf den Speicher. Und nach dem Mittagessen musste er
schnell ins Kontor. Und am Abend brauchte sie ihm das mit den vertauschten
Zunftzeichen auch nicht mehr zu erzählen, denn da wusste er es bereits. Die
Untersuchungskommission tagte. Am folgenden Morgen gab es kein Morgengeläut.
Der Küster hatte das Türchen zum Glockenturm vermauert gefunden. Ein Bote holte
Kober schon am frühen Morgen zur Sitzung.
    »Joachim,
ich…«
    »Sag’s mir heute Abend,
Schatz, ich muss los.«
    Judith kam
mit Ulla vom Wochenmarkt, als sie Stadtknechte mit Brustharnischen vor dem
Beginenhaus sah. Eins, zwei, drei… sechs Hellebarden blitzten in der Sonne.
Drei Bewaffnete hatte sie ins Haus gehen sehen. »Was ist denn da los?« Sie
gingen näher. Die Wache vom Wittstocker Tor sah herüber. Auch andere Leute
waren stehen geblieben. Ulla, die gerade noch über das Gewicht der beiden Gänse
geklagt hatte, litt nicht mehr unter der Schwere ihres Korbes. Staunend sahen
sie in den Fenstern und vor der Haustür aufgeregte, weinende oder betende
Beginen, und dann brachte man den lahmenden, taubstummen Hektor an den Händen
gefesselt heraus.
    Sie redete am
Nachmittag mit Valentin, der von diesem Ereignis schon in der Schule gehört
hatte, auch über Hektor, der weder lahm noch taub, noch stumm war, wie sich
bald zeigte, der jahrelang seine Gebrechen nur vorgetäuscht hatte, um sich von
den Beginen ernähren zu lassen. Sie redete, später, mit ihm auch über den
Fluchtversuch, den Hektor noch vor Gericht unternahm, über die Männer, die ihn an
der Saaltür festhielten, den

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