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Die Hure und der Henker

Die Hure und der Henker

Titel: Die Hure und der Henker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Arlt
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davon erfuhren, meinten sie, Euren Vater
in einer öffentlichen Ratssitzung ehren zu müssen.«
    »Und als sie erfuhren, er sei
ja kein Ehrendoktor, beglückwünschten sie ihn dann nicht einmal.«
    »Und Euer
Vater wusste genau, was sie wollten: nicht ihm Ehre machen, sondern nur keinen
Fehler.«
    Valentin
hatte recht. Sie sah ihn nachdenklich an.
    Dabei hatte
sie zuerst ein bisschen beleidigt sein wollen, weil er an allem rüttelte, was
für sie bis jetzt festgestanden hatte.
    Aber erstens
hatte er ihren Vater verteidigt, zweitens ließ er Gerechtigkeit walten, denn zu
der Zeit, als ein Hans Kunow der erste Bürgermeister der Stadt gewesen sei,
habe das Faustrecht geherrscht und er müsse also ein tüchtiger Mann gewesen
sein, wenn er damals jahrelang die Verantwortung getragen hatte. Auch dass der
Rat während der Pest 1610 in der Stadt geblieben war, fand er tapfer. Und ein
Knackrügge begeisterte ihn geradezu! Ein Knackrügge habe während der
Reformation, als es in Pritzwalk keine katholische Kirche mehr gab, die
irgendetwas besitzen konnte, aber auch eine evangelische noch nicht, sodass
alles drunter und drüber ging und als Urkunden und Grenzsteine und Gegenstände
verschwanden, ein Inventarverzeichnis der Kirche verfertigt. Das habe später so
manchen verdrossen. Ob sie ermessen könne, welche Bedeutung das hatte. Ob sie
sich vorstellen könne, wie das manche damals geärgert haben muss.
    O ja. Sie
konnte sich’s vorstellen.
    Und sie
konnte auch hören, was er nicht sagte. Er konnte auch sehen, was sie ihn nicht
sehen lassen wollte. Zorn. Angst. Verletztheit. Etwa wenn er sagte: »Na ja… da
hat ja jeder so seine Wunde.« Weil er Wunde sagte. Nicht Defekt. Nicht
Schwierigkeit. Nicht Last. Nicht Kreuz. Nicht Problem. Sondern Wunde.
    Erzähl mir
bloß nicht, es schmerze nicht mehr!
    Man kann
Stocken und Pausen hören. Oder wie oft ein Wort wiederkehrt. Wie oft andere
Frauen schön sind, zum Beispiel, und ihre Schönheit als Begründung herhalten
muss. Vor allem für die eigene spät geschlossene Ehe. Oder wie wichtig das
Alter ist.
    »In meinem
Alter haben andere ja oft schon die ganze Stube voller Kinder.«
    Du und alt! Wie alt?
Siebenundzwanzig? Acht Jahre älter als ich. Dass ich nicht lache. Magda in
Leipzig war zehn Jahre älter.
    Magda in Leipzig. Ein
ziemlich unpassender Gedanke jetzt. Hier ging es um Austausch. Ums Reden.
     
     
    Aber sie konnten schließlich
nicht stundenlang reden. Irgendwann hörte Judith das Schreien des Kindes oder
einen Aufschrei und ein anschließendes Poltern auf der Treppe, sodass sie
aufsprangen, Valentin auch, und am Fuß der Treppe Ulla sitzen sahen, die
beteuerte, nichts aus dem Nachttopf, den sie in der Tat starr und waagerecht
vor sich hielt, verschüttet zu haben. »Ich weiß dem Fallen doch wohl Schick zu
geben«, heulte Ulla, die am Tag keinen Nachttopf benutzen sollte. Wozu gab es
auf dem Hof einen Abtritt.
    Nein, man konnte nicht
stundenlang reden. Irgendwann wurde Baltzer wach. Oder Elsbeth rief oder der
Türklopfer dröhnte. Oder man musste noch zur Apotheke. Oder zu Benígna, die
Geburtstag hatte. Irgendwann stand man auf.
    Schob den
Hocker zurück. Stellte das Kräuterbuch wieder weg. Sagte: »Jetzt muss ich aber…
Benígna wird schon warten.« Wandte sich noch einmal an der Tür um.
    »Wann habt Ihr eigentlich Geburtstag?«
    »Am 17.
November. Warum?«
    »Dann seid Ihr also ein Skorpion.
– Ein gefährliches Tier!«
    Das sollte
damals, genau wie die Antwort, ein Scherz sein.
    »Ach wo, wenn
man ihn am Schwanz packt, ist er ungefährlich.«
    Ihn traf ein
kurzer, merkwürdiger Blick.

 
    11
     
     
     
    Ich muss ihr
ja nicht sagen, wie viel er mir von damals erzählt hat. Falls ich überhaupt
dazu komme, ihr jemals etwas zu sagen, denn die Brandwunden heilen ja wieder
und die Haare wachsen nach, aber das Fieber, das Fieber, wenn das so
weitergeht… Ich habe es aufgegeben, ihr meinen Namen zu nennen. Dann bin ich
eben Elsbeth. Hauptsache, sie trinkt! Wobei sie sich verschluckt, weil sie
durch den Mund atmet und mit ihren rissigen Lippen von was weiß ich fantasiert.
Eben war sie nämlich nicht auf der Hochzeit und es war auch nicht der
Lebensbund, aber von einem Herrn namens Meerkatz weiß ich auch durch Valentin
nichts. Man müsste auch etwas gegen die rissigen Lippen tun. Wenn man hier
kochen kann, und das kann man – allerdings nachts erst, damit niemand den Rauch
sieht –, wenn man in diesem bequemen Logis, und nie hätte ich gedacht, dass man
sich

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