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Die Hure und der Henker

Die Hure und der Henker

Titel: Die Hure und der Henker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Arlt
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seinem Firmenzeichen die
Losung »non solus« hatte, nicht allein, und dass auch er nicht allein war. Er
hatte ja Judith. Judith war da. Die Frau, die ihm zwar nicht gehörte, die aber
nun zu ihm gehörte. Er würde die Ehe nicht zerbrechen. Er würde sich
zurückziehen, wann immer es nötig war. Er würde ihr nicht das Leben schwer
machen.
    »Valentin!«
    Alle Männer sahen ihr
entgegen. »Valentin! Bitte sagt Ihr diesen Kindern, dass Grasmücken Eier
legen. Mir glauben sie’s einfach nicht«, rief sie mit gespielter Verzweiflung.
    Die Kinder
johlten gleich wieder. »Niemals!«, schrie Baltzer. »So große Eier legen Mücken
niemals! Niemals im Leben!«
     
     
    Niemals im
Leben wurde es wieder so schön.
    Sagte er, Valentin Klein,
mir, Sorka Nezvalová, mit dem Zartgefühl, das Männern halt eigen ist. Mich hat
er ja auch nur, zudem viele Jahre danach, in einer Kneipe aufgelesen. Mich hat
er zu den Männern dort »Arschloch!« und »Scheißkerl« sagen hören und nicht zu
Kindern bei Sonnenschein, dass sie Frechlinge und Sauferkel seien. »Haut ab,
ihr Frechlinge und Sauferkel, ihr!«
    Aber er hat
mich mitgenommen. Er hat mir und meinem Kind eine Bleibe gegeben. Dafür hätte
ich noch ganz anderes getan, als mir Geschichten über eine Judith und eine
Benígna anzuhören, die sich bei einem Gartenfest über das Zeichnen
unterhielten, auf das sich jene Benígna damals gerade verlegte. Wie gut die
Laube getroffen sei.
    »Sag mal, du
kennst doch das Grünzeug. Wie heißt diese Ranke?«, soll Benígna gefragt haben.
Und er hat Judith damals antworten hören: »Jelängerjelieber.« Je länger Kober
damals fort war, desto lieber war es ihnen gewesen. Kober, die Bewegungen des
Krieges beobachtend, der sich immer mehr nach Norden zu verlagern schien, hatte
beizeiten daran gedacht, sich im Süden eine Sicherung zu verschaffen. Er weilte
in jenem Sommer in Augsburg und baute seine Beziehungen in Süddeutschland aus.
    Da es in
Pritzwalk nicht üblich war, dass Frauen etwas von Geschäften verstanden, bekam
Judith keine Auskünfte von ihm, aber reichlich Geschenke. Fast wöchentlich
hielten Frachtwagen, Viehaufkäufer oder andere Boten vorm Haus, brachte selbst
die Paketpost beträchtliche Ballen. Ober- und Unterröcke, Mieder, Brusttücher
und Schuhe von in Pritzwalk noch unbekannter viereckiger Form, verziert mit
Rosetten, Schleifen und großen Verschlusslaschen, sollten ihr helfen bei dem,
was er ihr als Aufgabe zugedacht hatte: die Firma Kober neben ihm auf dem Fest,
das er bei seiner Rückkehr zu geben gedachte, würdig zu repräsentieren. Sie
sollte sich Kleider nähen lassen aus den kostbaren Stoffen. Sie sollte sich die
Ringe, falls sie nicht passten, von Goldschmied Tetzlaff enger oder weiter
machen lassen. Sie sollte das Haus warten und alle, Elsbeth voran, aber auch
Ulla, Simon und Robert schön grüßen. Sie solle Jenne sagen, ihr Anton befinde
sich wohl. »Hier in Süddeutschland«, las sie, »haben die Leute viel mehr
Lebensart.« Sie solle seinen Sohn von ihm küssen.
    In einem
öffentlichen Haus, das Kober in Augsburg besuchte, keiner billigen Schlupfbude
natürlich, wo man nur schlechtes Bier bekam und bejahrte, dreißigjährige Dirnen
bedienten, sondern einem sehr vornehmen Betrieb, dessen erlesene Speisen und
Getränke und dessen Mädchen man auch einem verwöhnten italienischen
Geschäftsfreund zumuten konnte, kam ihm, als dieser Tommasini ihm sagte, dass
man solche Häuser in Italien auch »Casa di tolleranza« nenne, sogar der
Gedanke, ob seine Judith in der Ferne womöglich ebenfalls solche Toleranz nötig
hätte. Er verwarf den Gedanken gleich wieder. Erstens war für sie kein Mann in
der Nähe, denn die ihres Standes wurden viel zu sehr von der Öffentlichkeit
kontrolliert. Und zweitens schätzte sie die Freuden des Leibes ja nicht.
Vielmehr: empfand der ihre ja keine. Egal, ob er es von vorn oder hinten
versuchte. Egal, wie ausdauernd und kraftvoll er zustieß.
    Valentin, als
Kober ihm bei einem Bier nach der Rückkehr von Augsburg erzählte und dabei auch
jenes Hauses gedachte, wo ihm eine genügte, sagte er, Tommasini habe sich dort
gleich mit vieren getummelt, Valentin hatte nicht einmal ein schlechtes
Gewissen. Es schmerzte ihn nur, dass es nun mit dem Jelängerjelieber vorbei
war. Der Verdunklung der Stimme, wenn Judith »Komm« sagte, wenn sie »Mann«
sagte, »Mann, ist das schön«. Wenn sie »Weiter« sagte, »Anhalten« sagte, ganz plötzlich,
schnell und dringlich »Halt an, halt an, halt

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