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Die Hure und der Henker

Die Hure und der Henker

Titel: Die Hure und der Henker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Arlt
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bloß nicht altes Geld
aus!« Er versuchte, Sigismund Schaum zu beschwichtigen, der ihn, als er mit den
anderen Lehrern zu einem Sonntagsfreitisch bei ihm zu Gast war, fragte, ob er
denn außer seinen heidnischen Hurenjägern und Schandlappen, diesen Ovid,
Terenz, Tibull und wie sie alle hießen, auch die Bibel noch lese.
    »Ja, Herr
Bürgermeister, natürlich. Täglich!« Was sogar stimmte, aber Schaum verliebte
sich trotzdem in den Gedanken, dass Valentin die Bibel nicht lese.
    Er versuchte,
ein Buch zu retten, das ihm die Pfarrfrau geschenkt hatte und dessen Deckel
links von Silberfischchen zerfressen war. Er klebte einen Leinenstreifen, den
er zuvor gefärbt hatte, darüber. Allerdings zu weit nach rechts. Drei
Buchstaben der drei versetzt untereinanderstehenden Worte wurden durch den
Streifen verdeckt. Statt »Pflanzen helfen heilen« stand da nun »Lanzen helfen
eilen«. Immerhin war das sachlich nicht falsch und spätere Zeiten sollten die
Richtigkeit dessen bestätigen.
     
     
    Zur Erntezeit
und in den Tagen der Schafschur, zur Zeit des Gänsegeschreis und der rötlichen
Himmel, der Stoppelfelder und der goldgelben Birken war Kober zu Hause.
Valentin streifte über den Trappenberg, teils, um sich Schlehen für die nächste
Tintenmischung zu holen, teils, um seinen Zorn an weißen Bovisten, die er
zertrat, grünen Disteln, die er köpfte, Steinen, die er über ein Feld warf,
auszulassen.
    Konnte Kober
nicht hinhören, wenn Judith bei Tisch von Benígna erzählte? Der
Vergesslichkeit, die Benígnas Mutter befiel? »Tilly hat bei Höchst über
Braunschweig gesiegt.« Das war doch darauf keine Antwort!
    Und dieser
dämliche Joachim Wiese mit seinem Gerede! Ob es nicht auffällig sei. Ob sich
denn noch niemand gefragt habe. Ob es da nicht einen Zusammenhang geben könne
zwischen dem Bau der neuen Orgel, dem Tod des Orgelbauers und dem Blitz in den
Kirchturm. Wozu hatte Kober den überhaupt eingeladen!
    Und die dämliche Jenne, die
hinter Wieses Stuhl stehen blieb!
    Judith: »Was ist denn,
Jenne?«
    Jenne drehte die
Schürzenzipfel. Jenne wollte sich ja nicht einmischen, sie sei ja bloß ein
einfaches Weib. Aber Trine Strehlen habe den Blitzschlag vorausgesagt. So, wie
sie sich im Frühjahr, als die Dömnitz durch ihre Ergießung vom Schnee ein Stück
der Stadtmauer einwarf, auch gleich erinnern konnte, wann das Frühjahrswasser
schon einmal so hoch war. Und der Stadtbrand von Kyritz und die Feuersbrunst in
Perleberg im vorigen Jahr…
    »Was willst du damit sagen,
Jenne?« – Kober klang streng.
    »Niiichts.«
    »Na, dann sag
auch nichts«, sagte Judith.
    »Aber seltsam
ist das schon«, meinte Wiese, als Jenne, der Diele ihren breiten Rücken
zukehrend, mit einem Stapel leerer Teller im Gang zur Küche verschwand.
    »Wir
ermitteln«, sagte Kober nur knapp.
     
     
    Damals, sagte
Valentin, sei ihm klar geworden, wohin ihn sein vermeintlicher Aufstieg geführt
hatte, in eine Sackgasse, ins Unfruchtbare, ins Abseits. Er habe sich, als er
begriff, dass er nicht heiraten konnte, denn dazu würde sein Geld allenfalls
erst mit fünfzig reichen, dass er aber als Lehrer, den alle kannten, auch nicht
in Wittes Lusthaus gehen konnte, das ehemalige Kloster am Giesensdorfer Weg, in
das Bürgermeister Witte die Pritzwalker Dirnen hatte einziehen lassen, und als
er erkannte, dass er es auch nicht über sich bringen würde, ein armes Mädchen
zu umschmeicheln, damit es ihm Beischläfereien erlaube, er habe sich damals
verraten und verkauft gefühlt.
    Er habe die
Bedürfnisse seines Leibes zugunsten der seines Kopfes verraten.
    Er habe seine Männlichkeit
für seinen Aufstieg verkauft.
    Und Judith,
die ihn einmal auf dem Faulbett fragte, ob es außer »honor causa« auch »amor
causa« gebe – »Honoris causa meint Ihr? Amoris causa?« –, Judith, die ihn in
einer Aula aus Kissen, auf rot-weiß gestreiftem Boden unter Zeremonien, die er
niemals vergessen würde, in einer Julinacht zum Dr. a. c. ernannte, zum doctor
amoris causa, Judith, sagte er, habe ihn damals zurückgekauft.
    Was wohl wahr
ist.
    Er fragte nur
nicht danach, womit sie bezahlte.

 
    15
     
     
     
    Sie bezahlte
damals mit schlechtem Gewissen und Angst.
    Jetzt, wo der Krieg sie schon
lange erreicht hat, wo man auch hier nicht mehr, wenn es heißt, dass Soldaten
kommen, neugierig vor die Türen tritt, sondern sie angstvoll verschließt und
verrammelt, jetzt, wo mit spanischen Füsilieren, kroatischen Reitern,
ungarischen Husaren, polnischen Kosaken,

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