Die Hure Und Der Moench
zu beschäftigen, buk sie aus Wein und Mehl Fladenbrote, damit sie weiterhin zu essen hatten. Eine weitere unruhige Nacht verging. Am nächsten Vormittag tauchte der Bader nicht auf, auch am folgenden nicht. Angelinas Verzweiflung wuchs. In den wenigen wachen Augenblicken flößte sie Francesco Wein ein, fütterte ihn mit weich gekochtem Ei.
In der fünften Nacht schreckte sie abermals empor. Sie hatte das Gefühl, dass jemand ins Haus gekommen wäre. Eine Tür klappte, Angelina meinte, schlurfende Schritte zu hören. Sie richtete sich auf |87| und schlich die Treppe hinunter. Aus der Küche kamen ihr zwei schemenhafte Gestalten entgegen, drängten sie zur Seite und rannten zur Tür. Im Dunkeln suchte sie nach einer Lampe, holte schließlich die von oben und sah, was die Unbekannten angerichtet hatten. Sämtliche Vorräte aus der Küche waren gestohlen. Wahrscheinlich hatten sie auch noch die Pest im Leib gehabt!
Vor Erschöpfung begann sie zu zittern. Langsam schleppte sie sich die Treppe zu Francescos Zimmer hinauf. Der Bader würde nie mehr kommen, die Pest hatte ihn dahingerafft. Niemand auf der Welt würde ihnen helfen. Sie würden beide sterben, wenn nicht an der Seuche, dann am Hunger. Aber sie, Angelina, würde diesen Weg zusammen mit Francesco gehen.
Als sie ihm, in einer wachen Stunde, wieder ein wenig Wein einflößte, hob er einen Arm, um nach ihrer Hand zu greifen. Sie stellte den Weinkrug auf den Boden, nahm seine Hand und schmiegte sie an ihre Wange. Doch sie hatte etwas gesehen, was sie sehr erschreckte. Unter dem Arm, vom Verband nur notdürftig verdeckt, hatte sich eine Beule gebildet. Angelina wusste, was das bedeutete.
Sie war verzweifelt über Francescos Zustand. Seine Lippen waren aufgesprungen und verschorft. Wie gern hätte sie ihn einmal geküsst, nur ein wenig! Doch sie ließ sich nichts anmerken. Hier, ganz allein mit ihm in einem leeren Haus, erwarteten sie den Tod.
Als Angelina noch einmal seine Verbände erneuerte, sah sie, dass sie sich getäuscht hatte. Es waren keine Beulen, sondern Eiterblasen, die von den Verletzungen herrührten, die er davongetragen hatte. Sie war so erleichtert, dass sie zu weinen anfing. Er würde leben! Sie durfte nicht aufgeben, sie musste ihn gesundpflegen. Woher in aller Welt sollte sie Nahrung herbeischaffen?
Es war mitten in der Nacht, es würde gewiss kein Laden offen haben, selbst wenn sie das Wagnis einging, nach draußen zu gehen. Da fiel ihr etwas ein, es war so naheliegend, dass sie sich an den Kopf schlug, weil sie nicht früher darauf gekommen war. Lucas Bandocci hatte beim Abschied gesagt, er wolle noch ein paar Sachen holen. Ob er den Laden fest verschlossen hatte? Möglicherweise war sein |88| Gemüselager nicht geplündert worden. Sie würde sich doch kaum einer Gefahr aussetzen, wenn sie rasch hinüberging und versuchte, in das Haus hineinzukommen. Lucas würde ihr das schon verzeihen.
Sie warf einen letzten Blick auf Francesco, der weiterhin ruhig schlief, nahm die Öllampe und stieg die Treppe hinunter. Die Tür zog sie vorsichtig hinter sich zu. Vom Arno her kam ein kühles Lüftchen. Tief sog sie die Nachtluft ein. In der Gasse war alles still. Der Mond beschien die Fassaden der Häuser, und es wirkte so, als sei nie etwas geschehen. Sie schaute sich nach allen Seiten um und huschte über die Straße. Die Tür zu Bandoccis Laden war mit Brettern vernagelt gewesen, die jetzt herabgerissen waren. Vorsichtig stieg Angelina über den Holzhaufen. Der Laden bot ein Bild der Verwüstung: Körbe, Regale und Säcke lagen auf dem Boden verstreut. Wohin Angelina auch leuchtete, sie fand nichts Essbares mehr. Von draußen hörte sie den Gesang der
Fanciulli,
der schnell näher kam. Sie löschte das Licht und kauerte sich in eine Ecke des Raumes. Genau vor dem Laden machten die
Fanciulli
Halt, der Gesang verstummte. Ein Junge mit einer Fackel in der Hand erschien und leuchtete in den Laden hinein. Angelina schwitzte vor Angst, entdeckt zu werden. Wahrscheinlich würde sie dann Francesco nie wiedersehen.
»Hier gibt’s nichts mehr zu holen«, sagte der Junge und zog sich zurück. Die
Fanciulli
stimmten ihren Gesang wieder an und zogen weiter. Angelina hätte vor Erleichterung fast gelacht und sich damit möglicherweise verraten. Sie erinnerte sich an das Hinterstübchen, in das Lucas schon einmal verschwunden war. Im Dunkeln tastete sie sich voran, ereichte die Tür und öffnete sie. Es war ein kleiner Raum mit Tisch und Bett, so viel konnte
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