Die Hure Und Der Moench
der Mitte stand ein Springbrunnen. Ein Diener geleitete sie zum
Primer Piano
, nahm ihr den Mantel ab und führte sie in das Esszimmer. An den Wänden, die mit Stofftapeten ausgeschlagen waren, hingen Ahnenbilder. Die Decke war reich mit Stuck ausgestattet, und in den Ecken standen Statuen aus Marmor und etliche Putti. In der Mitte war eine lange Tafel mit Silberbesteck und Goldrandtellern gedeckt.
Kerzen verbreiteten ein warmes Licht. Viele der Menschen, die im Raum verteilt waren und miteinander plauderten, kannte Angelina nicht. Doch dann entdeckte sie Eleonore, in ein Gespräch mit Tomasio Venduti vertieft. Beide hielten Gläser mit Wein in den Händen. Eleonore hatte Angelina entdeckt, stellte ihr Glas auf eine Konsole und kam mit ausgebreiteten Armen auf sie zu.
»Wie freue ich mich, dich wiederzusehen!«, rief sie und schloss sie in die Arme.
»Ich freue mich auch, dich wiederzusehen, Eleonore«, sagte sie aufrichtig. »Und ich danke dir für diese Einladung.«
»Schade, dass Francesco nicht dabei sein kann«, meinte Eleonore. »Er wird schon über Siena hinaus sein. Aber ich habe Lucas und Sonia eingeladen, die wirst du gewiss auch gern begrüßen.«
|220| »Ich habe sie schon besucht, seitdem ich wieder in Florenz bin«, sagte Angelina.
»Wie ist es dir ergangen?« Eleonore schaute sie bei dieser Frage mit einem warmen Blick an. »Du bist ja … wie soll ich es sagen … etwas schnell vom Lago Trasimeno aufgebrochen.«
»Ich habe es nicht mehr ausgehalten«, antwortete Angelina ausweichend. »Mir war eingefallen, dass meine Tante in Arezzo wohnt, dort bin ich geblieben, bis die Pestwelle vorüber war.«
»Wie dem auch sei«, Eleonore strich eine Locke ihrer blonden Haare zurück, die zu einem kunstvollen Kranz geflochten waren, »in meinem Haus bist du immer willkommen!« Angelina lächelte und begrüßte Tomasio, Sonia und Lucas und die beiden Kinder Eleonores. Den übrigen etwa zehn Gästen wurde sie von Eleonore vorgestellt. Man sprach über den neuesten Klatsch in der Stadt, bis die Vorspeise, eine Hasenpastete, aufgetragen war. Das Gespräch wandte sich der Kunst zu. Ein Mann mit rosigem Gesicht, anscheinend ein Kunsthändler, erzählte eine Episode aus dem Leben des Leonardo da Vinci.
»Leonardo ist ja, wie Ihr alle wisst, mit der Ausmalung der Mailänder Kirche beschäftigt: mit dem heiligen Abendmahl. Graf Sforza hat es in Auftrag gegeben. Man sagt, dass der Prior des Klosters Leonardo sehr zur Arbeit angetrieben habe, denn er verstand es nicht, dass der Maler bisweilen einen halben Tag im Nachdenken verloren schien. Der Prior beschwerte sich beim Herzog Sforza und bedrängte ihn so lange, bis er Leonardo herbeirufen ließ und ihn im Namen des Priors bat, schneller zu arbeiten. Leonardo sagte, dass Künstler häufig dann am meisten schaffen, wenn sie am wenigsten arbeiten, nämlich wenn sie erfinden und im Geiste bilden, was sie mit ihrer Hände Arbeit vollenden. Zwei Köpfe fehlten ihm noch, sagte er, der des Christus, und der des Judas, über den er nachdenke. Es scheine ihm vollkommen unmöglich, Gesichtszüge für jemanden zu erfinden, der in der Lage gewesen war, seinen Herrn zu verraten. Finde er nichts Besseres, so seien ihm die Gesichtszüge des taktlosen und lästigen Priors gewiss eine gute Vorlage. Dies brachte |221| den Herzog zum Lachen, und er gab ihm recht. Der Prior indes war verwirrt und befleißigte sich, die Arbeiten im Garten fortzuführen, und ließ Leonardo fortan in Frieden.«
Alle am Tisch lachten.
»Leonardo da Vinci ist ein großer Mann«, sagte Tomasio, nachdem er sich mit einer Serviette den Mund abgewischt hatte. »Dadurch, dass er das heilige Abendmahl gemalt hat, erweist er sich als Meister der sakralen Kunst! Er sollte sich mehr auf diese Seite beschränken und nicht so viele Versuche in den mechanischen Künsten machen.«
»Wenn wir solche Forscher und Sucher nicht hätten, gäbe es einen Stillstand«, wandte der Herr mit dem rosigen Gesicht ein.
»Wenn ich die bescheidene Meinung eines Händlers äußern darf«, fiel Lucas ein, »dann würde ich sagen: Ich ziehe den Hut vor Künstlern aller Art! Sie sind das Salz in der Suppe einer jeden Gesellschaft.«
»Was die Künstler vor allem auszeichnet, ist der Adel ihrer Gesinnung«, sagte Eleonore. »Ich zumindest habe keinen kennengelernt, der ihn nicht besessen hätte.«
Angelina wusste, auf wen sie anspielte. Wie bleich sie aussah! Auf ihrer Stirn hatten sich Schweißtropfen gebildet. Ob es ihr so
Weitere Kostenlose Bücher