Die Hure von Bremen - historischer Kriminalroman
etwas für ungerecht hielt, begehrte sie auf. Mit Frau Margarete hatte sie inzwischen so manches Wortgefecht ausgetragen, dass selbst die Älteren große Augen bekamen. Die anfänglich verständnisvolle Hurenwirtin hatte sich als eine Geld hortende und manchmal unnachgiebige Frau entpuppt.
Lenas Einsatz im Töchterhaus hatte allen Mädchen Vorteile gebracht. Sie bekamen jetzt einen Groschen mehr die Woche, und sie durften auch Männer ablehnen. Dazu war es gekommen, als Lena einen stinkenden alten Mann mit auf das Zimmer nehmen sollte. Er hatte nach Pisse und Scheiße gerochen, hatte faulige Zähne und sich vermutlich seit Wochen nicht mehr gewaschen. Er wollte Lena und zeigte dafür ein kleines Vermögen vor. Das war zu viel für Lena gewesen, und so war es zum Streit mit der Hurenwirtin gekommen. Seit dem Tag behandelten die anderen Mädchen Lena mit mehr Respekt, und sie hatte gelernt, was es bedeutete, für etwas zu kämpfen.
»Nun, dann beeile dich.« Kora zeigte auf einen Stand, den Lena jedoch längst entdeckt hatte.
Freudestrahlend starrte sie in die Auslage, und als sie an der Reihe war, konnte sie sich kaum entscheiden.
»Nun mach hinne, du Hure«, drängte die nächste Kundin hinter ihr.
Lena vermied es, die Leute anzusehen, deutete auf einen Honigkuchen und legte ein Kupferstück auf die Ablage. »Ich hasse dieses rote Band. Warum müssen wir es nur tragen?«, fragte sie Kora und nestelte an ihrem Zeichen herum.
»Untersteh dich, es abzumachen. Wenn es jemand sieht, landest du am Pranger oder im Kerker.«
»Aber jeder beschimpft uns. Ich weiß nicht, was schlimmer ist.«
»Damit musst du leben. Und nun beeil dich, ich will nicht mein Bad verpassen.«
Nachdem sie ihre Einkäufe erledigt hatten, erregte plötzlich ein Menschenauflauf ihre Aufmerksamkeit.
»Da versammeln sie sich wieder um den Pranger. Komm, lass uns sehen, welchen armen Teufel es heute erwischt.« Kora wartete Lenas Antwort gar nicht erst ab, sondern eilte neugierig voraus.
»Aber dafür hat sie Zeit«, murmelte Lena und bahnte sich hinter Kora einen Weg durch die Menge, um etwas sehen zu können. Während sie immer näher kamen, hörten sie den Pfiff der Peitsche und dann einen Knall, der von den Wänden der umliegenden Gebäude widerhallte, gleich darauf den unterdrückten Schrei einer Frau. Ein Raunen ging durch die schaulustige Menge. Plötzlich blieb Kora stehen und hielt sich die Hand vor den Mund.
Hatte es vielleicht jemanden erwischt, den sie kannten? Lena grübelte, während sie sich nach vorn zwängte. Dann sah auch sie, wer am Pranger stand. Wie versteinert blickte sie auf Marie, deren Oberkörper nackt war und die bereits einige blutige Striemen auf dem Rücken davongetragen hatte.
»Herr im Himmel«, entfuhr es Lena. Die Heilerin hatte schon einigen Mädchen aus dem Töchterhaus das Leben gerettet. Immer brachte sie kleine Geschenke mit, mal ein Duftwasser, das sie selbst herstellte, mal eine Blumenkette, mal Seife. Sie heilte nicht nur die Krankheiten, sie hörte sich auch die Sorgen der Mädchen an und versuchte dort zu helfen, wo es in ihrer Macht stand. Auch Lena war schon von ihr wegen Übelkeit und ihrer dauernden Unterleibsschmerzen behandelt worden. Marie war geschickt, kundig und äußerst liebenswert. Lena konnte sich nicht vorstellen, was diese Frau an den Pranger gebracht haben sollte.
Wieder sirrte die Peitsche, worauf die Menschen den Atem anhielten. Manche blickten erschrocken und betroffen, doch keiner tat etwas. Nur Lena konnte nicht länger zusehen, als der Mann erneut ausholte.
»Halt!«, schrie sie aus voller Kehle und trat entschieden vor.
Die Peitsche verfehlte ihr Ziel, und verärgert blickte der Carnifex sich nach Lena um, ebenso wie die umstehenden Menschen, die ihr nun Platz machten.
»Bist du von Sinnen?«, zischte Kora hinter ihr, aber Lena ignorierte es.
»Verschwinde, sonst bist du die Nächste«, mahnte der Carnifex mit zusammengekniffenen Augen.
»Nein. Erst will ich wissen, was Frau Marie getan hat!« Lena spürte von hinten Koras Hand auf ihrer Schulter, die sie zurückhalten wollte, doch sie wehrte sie ab, ohne sich umzudrehen, und ging geradewegs auf Marie zu.
»Sieh an, eine der Huren spuckt große Töne. Die will sich wohl welche fangen«, rief eine Frau, und die Leute lachten.
»Kind, geh«, presste Marie mühsam nach Atem ringend hervor.
»Verschwinde«, mahnte der Carnifex erneut, und Lena wusste, dass es seine letzte Warnung war.
»Den Teufel werd ich«, erwiderte
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