Die Hure von Bremen - historischer Kriminalroman
ich glaubte, schwanger zu sein. Doch er sagte, das mache ihm nichts. Er hatte eine anständige Mitgift vom Grafen erhalten.«
»Wie hat mein Vater reagiert?«
»Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht. Ich habe ihn nie wiedergesehen. Als dein Stiefvater mich zu sich nach Hause holte, war er nicht da.« Sie strich sich über ihre Haare. »Aber genug davon. Jetzt sollten wir uns beeilen.« Sie stand auf und eilte hinaus. Lena folgte ihr gedankenversunken.
Nach und nach trafen stolze Ritter in prächtigen Rüstungen, eitle Frauen in teuer bestickten Kleidern, junge und betagte Adelige, Kirchenmänner und andere Gäste auf der Burg ein. Die Kammern waren hergerichtet, wenn sich auch die niederen Adeligen eins zu zweit oder dritt teilen mussten.
Es war ein strahlend schöner Herbsttag. Viele Leute gesellten sich auch nach draußen, um in den Zelten zu feiern, die zu Spiel und Spaß aufgebaut waren. Lena hatte alle Hände voll zu tun, sodass sie kaum dazu kam, nach dem gesuchten Mann Ausschau zu halten, den sie gerade heute zu entdecken hoffte. Dennoch spitzte sie die Ohren und glaubte immer wieder einmal, die Stimme von Maries Mörder zu hören, doch jedes Mal, wenn sie hinsah, gehörte sie nicht zu einem großen Mann. Ihre Angst wuchs, dass sie ihn nicht wiedererkennen würde.
Nach dem Essen spielten Musikanten auf, Barden sangen ihre Lieder, die zum größten Teil Spottlieder auf Bremen und die Ratsherren waren. Narren gaben ihre Späße zum Besten, Akrobaten führten ihre Künste vor, und Huren bezirzten die Männer.
Nach einigen Stunden gab es die ersten Volltrunkenen, die von ihren Kameraden an die frische Luft befördert wurden. Einen musste Lena gemeinsam mit Thomas, den sie heute das erste Mal wiedersah, nach draußen bringen. Es war ein alter Soldat, der sich offenbar in der Schlacht um Bremen sehr verdient gemacht hatte und zum Ritter geschlagen worden war, was er mit ausschweifendem Alkoholgenuss gefeiert hatte. Nachdem sie ihn in ein leeres Zelt gelegt hatten, wollte Lena wieder hinein, doch Thomas hielt sie am Arm zurück.
»Ruh dich einen Augenblick aus.«
»Aber ich werde drinnen gebraucht«, protestierte Lena, auch wenn sie der Aufforderung nur zu gern nachkommen wollte.
»Ein paar Minuten werden nicht auffallen. Ich hole dir etwas zu trinken.«
Ehe Lena protestieren konnte, war Thomas in der Menge verschwunden. Ärgerlich überlegte sie, einfach hineinzugehen, aber er meinte es gut. Also beschloss sie zu warten, setzte sich mit dem Rücken an eine Zeltwand und zog sich die Schuhe aus, um ihren Füßen auf den kühlen Steinen ebenfalls etwas Erholung zu gönnen. Sie beobachtete die Soldaten, die sich mit Geschicklichkeitsspielen die Zeit vertrieben, und ließ ihren Blick über die feiernde Menge schweifen. Ein Mann fiel ihr ins Auge, der sich verstohlen mit Flora, der ältesten Tochter des Grafen von Hoya, unterhielt. Er war sicher doppelt so alt wie sie und trug keine Soldatenuniform, sondern die Kleider eines Bürgers. Sie himmelte ihn regelrecht an, und die beiden sahen sich auffallend lange in die Augen. Zwischendurch senkte sie kokett den Blick, woraufhin er ihren Arm ergriff und sie langsam von der Menge wegzog.
Es geht also in Richtung Stall, dachte Lena und grinste verschmitzt. An der Stalltür sahen sie sich tatsächlich noch einmal um und schlüpften dann schnell hindurch. Wenn der Graf dessen gewahr würde, bräche hier sicher die Hölle los. Der Mann war sicher keiner, der als Bräutigam in Frage kam. Ach, sollen sie sich doch vergnügen, dachte Lena und wandte sich wieder suchend den Feiernden zu. Wo blieb Thomas nur? Hier hinter dem Zelt würde Frau Gudrun sie nicht sofort entdecken, aber wenn ihr Fehlen auffiel, würde sicherlich eine Bestrafung auf sie warten.
Aus den Zelten hörte man Paare, die sich vergnügten, oder welche, die sich unterhielten. Genau in ihrem Rücken liebte sich ebenfalls ein Paar lautstark. Lena grinste erneut und überlegte, sich einen anderen Platz zu suchen, aber sie war zu müde, um aufzustehen. Andere Laute als die, die Lena aus dem Töchterhaus wohl bekannt waren, würden die beiden sicher nicht von sich geben.
Die Worte, welche die Frau sprach, ließen darauf schließen, dass sie mit Sicherheit keine brave Bürgerin war. »Meine Güte, wie wild du warst. Richtig ausgehungert.« Ein heiseres Lachen war zu hören.
»So gut hat dich bestimmt noch keiner geritten«, sagte der Mann, und Lena richtete sich kerzengerade auf. Diese Stimme! Sie hatte
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