Die Hure von Rom - Walz, E: Hure von Rom
Wimmern, das Flüstern einiger Worte des Abschieds und der Liebe, und er kam nicht umhin, wieder einmal über die menschliche Natur zu staunen, in der einander entgegengesetzte und verfeindete Gefühle wie Liebe und Gewalt, Trauer und Zorn dicht beieinander lebten.
Laurenzio Massa wartete vor der Kirche in der Kutsche, die ihn und den Papst nach Rom zurückfahren würde. Er hatte einen Wedel in der Hand, mit dem er Fliegen verscheuchte. Von dem alten Priester war weit und breit nichts zu sehen, und der Kutscher pinkelte ein gutes Stück entfernt in ein Feld, sodass Sandro allein mit Massa war. Glücklicherweise war Sandro auf einem der Pferde der vatikanischen Stallungen gekommen, was ihn in die Lage versetzte, sofort aufzubrechen und somit kein Gespräch mit Massa führen zu müssen. Abgesehen davon, dass die zweite Bestattung des heutigen Tages auf ihn wartete – jene von Sebastiano Farnese -, verspürte er nicht die geringste Lust, sich mit diesem Intriganten abzugeben, der Forli benutzt und damit in eine üble Lage gebracht hatte.
Als Sandro an der Kutsche vorbeiging, um seinen Rappen loszubinden, fragte Massa, gerade laut genug, damit Sandro, aber niemand sonst, es hören konnte: »Heult er immer noch?«
Sandro blieb stehen. »Er nimmt Abschied«, erwiderte er scharf.
»Rührend«, kommentierte Massa sarkastisch.
Es gab wenige Menschen, an denen Sandro nichts, aber auch gar nichts Sympathisches oder wenigstens Achtenswertes entdecken konnte. Massa war so ein Mensch. Sandro hätte einfach aufsitzen und davonreiten sollen, wie er es vorgehabt hatte, aber er fühlte sich plötzlich von Massas Grinsen, Massas geschmackloser Wortwahl, Massas Falschheit und Überheblichkeit
provoziert, und die Vorstellung, ihm einmal einen verbalen Hieb zu versetzen, klebte wie Balsam auf Sandros Zunge.
»Ihr fühlt Euch wohl sehr kaltblütig und mannhaft, wenn Ihr so daherredet?«, fragte Sandro. »Sobald der Papst um die Ecke kommt, seid Ihr nur noch ein Zwerg, Massa. Und damit meine ich nicht bloß die widerwärtige Buckelei, mit der Ihr Euch Vorteile zu erschleichen versucht.«
Massa grinste unbeeindruckt. »Sondern?«
»Dass Ihr diesem Mann da drinnen trotz all seiner Fehler nicht das Wasser reichen könnt. Er ist in der Lage, Liebe und Trauer zu empfinden.«
»Oh, sehr amüsant. Was Ihr über Julius wisst, passt in eine Nussschale.«
Sandro verstand selbst nicht, wieso er mit einem Mal versucht war, Julius zu verteidigen. Gewiss, sein Gelübde des absoluten Papstgehorsams band ihn an Julius, doch es bezog sich auf das Amt, nicht auf den Mann. Lag es daran, dass er noch unter dem Eindruck von Julius’ Erschütterung stand und dass Sandro keiner Verzweiflung widerstehen konnte, weil er sich zum Mitgefühl verpflichtet fühlte?
Ein anderer, ein erschreckender Gedanke kam ihm: Schien ihm Julius’ Gewalttätigkeit gegen Maddalena heute weniger schrecklich als gestern noch, weil er, Sandro, von einer Frau verletzt worden war? Zornig trat er diesen Gedanken wie eine Flamme aus, die alles in Brand zu setzen drohte. Wieder dieser Zorn wie gestern Abend …
Er gab sich selbst rasch eine viel einfachere Erklärung für sein Eintreten für Julius: Gegen den unausstehlichen Massa hätte Sandro sogar einen apokalyptischen Reiter verteidigt.
»Mir ist sehr wohl klar«, sagte er, »dass er harte und manchmal auch höchst ungerechte Entscheidungen trifft und dass er sich zu oft versündigt gegen andere Menschen. Aber er ist
in der Lage, Liebe und Trauer und Reue zu empfinden, während Ihr nur dann Wonne empfindet, wenn Ihr anderen wehtun könnt, Massa. Ich wette, Ihr habt Euch schon genüsslich die Hände gerieben über die gelungene Intrige gegen Kardinal Quirini, und die Strafe für Forli habt Ihr Euch sicher während eines schmackhaften Mahls ausgedacht.«
Massa faltete die Hände auf dem Bauch und täuschte angestrengtes Nachdenken vor. »Forli, Forli …« Er lachte auf. »Ah, Ihr meint diesen bedauernswerten Hauptmann, der unschuldige Kardinäle anklagt. Tja, was tut man mit Hunden, die die Falschen beißen? Man erschlägt sie oder jagt sie davon. Das Erste verbietet uns die Christenpflicht, wir sind schließlich keine Unmenschen. Bleibt die Entlassung. Möglicherweise werde ich barmherzig sein und Forli anbieten, im Amt zu bleiben, als Gegenleistung für künftige Gefälligkeiten.«
»Da kennt Ihr Forli schlecht. Er wird ablehnen, jetzt, wo er weiß, wer und was Ihr seid, Massa.«
»Das wäre sehr dumm. Er hat
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