Die Hure von Rom - Walz, E: Hure von Rom
als Gespann arbeiteten. So seltsam es klang: Forli war seit heute der Einzige, auf den er sich – vielleicht neben Carlotta – hundertprozentig verlassen konnte: Freund Nummer eins.
Der Priester hatte den Segen gesprochen, und Forli wollte aufstehen, aber Sandro hielt ihn am Hemdsärmel gepackt. »Noch nicht, Forli«, flüsterte Sandro, »oder seht Ihr jemanden aufstehen? Bei Gelegenheit mache ich Euch mit der Liturgie der Totenmesse vertraut.«
Forli murmelte etwas Unverständliches in sich hinein.
»Also«, fragte Sandro leise, »was ist mit dem Bankhaus Augusta?«
»Das gibt es tatsächlich, wer hätte das gedacht. Es ist im Stadtarchiv eingetragen, und zwar unter der Adresse Via Santa Maria Minerva. Das ist eine kleine Straße am Pantheon.«
Sandro nickte zufrieden. »Langsam ergibt alles ein Bild. Maddalena hatte, bevor sie in die Villa zog, ein Dachzimmer unter der Adresse Via Santa Maria Minerva bewohnt. Euer Lieblingsverdächtiger, Kardinal Quirini, hatte es ihr damals zur Verfügung gestellt, vorgeblich als Liebesnest, aber wer weiß …«
»Soll ich mir die Wohnung ansehen?«, fragte Forli. »Ich möchte nachher eine Spazierfahrt mit Francesca machen, da fahren wir dann einfach am Pantheon vorbei, und ich gehe schnell mal in das Dachzimmer hinauf. Vielleicht finde ich etwas Interessantes.«
»Kutschfahrt zu zweit?«
»Zu dritt, Carissimi. Francescas Zofe ist die Anstandsdame.«
»Sieh da, Forli, habt Ihr Euch endlich vor Ranuccio erklärt?«
»Ehrlich gesagt, hat er mich gefragt, ob ich Francesca ein wenig aufmuntern könnte. Er macht sich Sorgen, weil sie nichts mehr isst und mit niemandem mehr ein Wort spricht. Seht sie Euch an: Sie ist schwächer denn je. Wenn sogar diesem Tyrannen bei ihrem Anblick das Herz aufgeht, könnt Ihr vielleicht verstehen, wie ich mich erst fühle. Ich weiß, wir stecken noch mitten in einem Mordfall und haben keine Zeit für Spazierfahrten, aber wie gesagt, ich könnte etwas Nützliches tun und die Wohnung …«
Sandro erhob sich mit der übrigen Trauergemeinde. Der liturgische Teil der Bestattungszeremonie war abgeschlossen. Die Familie nahm Abschied vom Toten.
Sandro machte ein ernstes Gesicht. »Ich möchte nicht, dass Ihr an diese Wohnung denkt, Forli. Francesca braucht jetzt Eure ganze Aufmerksamkeit, und das sonnige, milde Wetter ist ideal für eine Ausfahrt. Außerdem ist das eine einmalige Gelegenheit, die Ernsthaftigkeit Eurer Absichten bezüglich Francesca unter Beweis zu stellen.«
»Ich muss sagen, Carissimi, manchmal habe ich Euer geziertes Jesuitengeschwafel richtig lieb.«
»Freut Euch nicht zu früh«, warnte Sandro ohne jedes Lächeln oder Augenzwinkern. »Denn ich habe einen anderen Auftrag, und der wird Euch nicht gefallen.«
31
Forli hatte Frauen, die den Namen Filomena trugen, noch nie leiden können. Filomenas waren allesamt verhutzelte Greisinnen, die unmöglich jemals jung gewesen sein konnten und –
ähnlich den Stechmücken – von Gott nur zu dem Zweck geschaffen worden waren, die Menschheit zu piesacken. Angefangen hatte es in früher Kindheit mit einer Großmutter, die ihm jedes Mal, wenn sie zu Besuch kam, in die Ohren schaute und ihm danach einen Klaps auf den Hinterkopf gab. Ihr folgte einige Jahre später eine zweite Filomena, ebenfalls eine Großmutter, aber nicht seine, sondern die eines Mädchens, das er gerne ansah. Besagte Filomena Nummer zwei war wohl der Ansicht, Schwangerschaften entstehen bei Blickkontakt, denn sie zeigte ihn wegen seines Interesses für ihre Enkelin bei der Stadtkommandantur an, was zu etlichen Komplikationen führte, an die er heute lieber nicht mehr dachte. Als er dreiundzwanzig Jahre alt war, trat die dritte Filomena in sein Leben, und zwar in Gestalt eines weiblichen Wildschweins, das ihn während einer Jagd angriff und dazu zwang, zum ersten und einzigen Mal in seinem Leben auf einem Baum Zuflucht zu suchen. Das Schwein wurde von den anderen Jägern zur Strecke gebracht. Eigentlich hatte es keinen Namen – denn, erstens, war es ja nur ein Wild schwein und, zweitens, war es tot – aber als er es sich genauer betrachtete, fand er, dass es aufgrund seiner Hässlichkeit und Garstigkeit den Namen Filomena verdiente.
Forli wollte nicht so weit gehen, die Zofe namens Filomena, die ihm in der Kutsche gegenübersaß, mit jenem Wildschwein zu vergleichen, aber sie hatte entschieden etwas von Filomena Nummer zwei an sich. Sie hatte den Ausdruck einer Obervestalin, trug Gewänder, unter denen eine
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