Die Hure von Rom - Walz, E: Hure von Rom
erbarmungswürdiges Keuchen, das sich mit seinem eigenen erbarmungswürdigen Keuchen vermischte. Doch Sandro bekam nicht genug. Immer öfter stieß er dem Pferd mit den Fersen in die Seite, immer schärfer feuerte er es an, wie ein Jäger, wie ein Gejagter. Seine Sinne waren geschärft – er roch das Tier, spürte die aufspritzende Erde an seinen Beinen, bemerkte die fliehenden Krähen, sah in der Ferne die römischen Mauern sich aus dem Dunst schälen. Seine Gedanken aber waren nach innen gerichtet.
Die alte Stute gab entsetzliche Geräusche von sich. Er trieb sie dennoch an. Auf alles empfand er einen ungeheuren Hass – auf die Krähen, die sich mühsam retteten, auf den schimpfenden Bauern, dessen Feld die Hufe zerstampften, auf Massa, auf die Stute, auf Milo, auf Antonia … Auf sich selbst. Keiner hatte ein Recht auf Zuneigung oder Mitleid.
Etwas Finsteres, vielleicht der Irrsinn, hatte es auf ihn abgesehen, und er öffnete ihm alle Türen und ließ es ein, ließ es sein Werk tun.
Die Stute verlangsamte ihren Lauf, kam zum Stehen, und nichts, was Sandro tat, konnte sie wieder in Bewegung setzen. Er schrie, er trat. Sie sank zusammen, fiel auf die Seite, und er konnte im letzten Moment sein Bein unter ihrem Körper hervorziehen.
Sandro beugte sich über sie. Auf ihrem Maul stand dick der Schaum. Klägliches Röcheln begleitete ihre Reglosigkeit.
Er verharrte über dem Kopf des Pferdes und starrte auf das weiße, schmutzige Fell, dann stand er auf, ging ein paar Schritte in diese und jene Richtung, sah auf das Tier, sah zum Horizont, ging wieder herum. In seinen Atem mischten sich stoßweise Seufzer. Er lief im Kreis, blieb stehen und stemmte die Hände in die Hüften.
Er schrie. Er war in einem Niemandsland und schrie. Und dann stürzte er sich auf den Boden wie auf einen Feind und schlug auf ihn ein. Sinnlos, denn da war nichts als Erde, klumpige Erde. Er zerschlug die Klumpen, hämmerte mit seiner Faust auf alles ein, was unter ihm lag, bis er vor Erschöpfung flach auf der Erde lag, die er misshandelt hatte.
Was er gestern gesehen hatte, hatte ihn getroffen, aber er wusste, dass Antonia kein Kind von Traurigkeit war und dass sie lange, sehr lange auf ihn gewartet hatte. Alles, was er in den letzten Jahren verloren hatte, war nie von ihm erkämpft oder erarbeitet worden. Die Liebe der Mutter, die Frauen, das sorglose Leben, die Bruderschaft – all das war ihm zugefallen. Und weil er nicht gelernt hatte, zu erobern, hatte er auch nicht gelernt, zu bewahren. Bei der ersten Schwierigkeit hatte er die Waffen gestreckt und die Flucht ergriffen.
Er war drauf und dran gewesen, erneut zu kapitulieren, und der Zorn, den er seit gestern Abend in sich trug, war nur vorgeblich gegen Milo und Antonia gerichtet. Es war in Wahrheit der Zorn wegen seiner eigenen Feigheit.
Verdammt! Er war doch dabei, sich zu ändern. Er hatte Massa die Stirn geboten, sich gegen Forli durchgesetzt, seinen Vater in die Schranken gewiesen und der Erpressung seiner Mutter widerstanden. Die höchste Instanz der Kirche setzte Vertrauen in ihn. Doch das alles wäre nichts wert, wenn er die größte und persönlichste Herausforderung, der ein Mensch sich zu stellen hatte, vermied: den Kampf um die Liebe. Wer diesem Kampf aus dem Weg ging, hatte einen Teil von sich, den bedeutendsten Teil, bereits aufgegeben.
Und dazu war er nicht länger bereit.
Er rappelte sich auf und kroch auf allen vieren zur Stute, beugte sich über sie, streichelte ihre Mähne und flüsterte in ihr Ohr. Sie stieß heißen Atem aus den Nüstern und hob den Kopf.
»Nach dem, wie ich dich behandelt habe, müsste ich dich nach Hause tragen. Aber ich fürchte, daran hättest du wenig Vergnügen.«
Er lächelte dem Tier zu und gab ihm einen Klaps. Das Pferd stand auf.
Den restlichen Weg liefen sie nebeneinander her.
Sebastiano Farneses Beerdigung kam Sandro, verglichen mit der von Maddalena Nera, wie ein bürokratischer Akt vor, ohne jede Gefühlsregung, ohne Anteilnahme. Ranuccio Farnese hatte für seinen jüngeren Bruder nur ein billiges Grab auf dem Campo Verano besorgt, ein Einzelgrab zwar, doch ohne jede Ausschmückung. Was Ranuccio heute am Leibe trug, hatte doppelt so viel gekostet wie der Platz, den er Sebastiano für die Ewigkeit gönnte. Dementsprechend war auch seine Anteilnahme.
Die anwesende Familie Carissimi gab ein nur wenig besseres Bild ab. Sandros Schwester Bianca war unentwegt damit beschäftigt, ihren Hut gegen die aufkommenden Windböen
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