Die Hure von Rom - Walz, E: Hure von Rom
sollen?
Vom Archiv der Apostolischen Kammer war er rasch in seine Kammer im Gefängnis geritten, hatte sich dort umgezogen und war hierhergekommen. Als er Francesca nirgendwo in der Festgesellschaft erblickte, hatte er einen Pagen gefragt. Er hätte auch Sandro Carissimi fragen können, aber zum einen unterhielt er sich mit Donna Elisa, und zum anderen war es Forli peinlich, vor Carissimi sein Interesse für Francesca so offen zu bekunden. Der Page sagte ihm, sie sei noch in ihrem Zimmer im oberen Stock. Forli wartete eine Weile auf der untersten Stufe, in der Hoffnung, sie dort in Empfang zu nehmen, wobei er sich so unauffällig wie möglich verhielt für jemanden, der eine Treppe belagerte. Als sie jedoch nicht erschien, nahm er sein Herz in die Hand, um sie – gegen alle Etikette – aufzuspüren.
Und nun hatte er sie gefunden. Sie war mit einem jungen Dominikanermönch zusammen, den er nicht kannte. Francesca saß auf einem Stuhl, der Mönch kniete neben ihr auf dem Boden, und sie hielten einander an den Händen. Es war unschwer zu erkennen, dass Forli sie bei einem ernsten, aufwühlenden Gespräch unterbrochen hatte, denn ihrer beider Gesichter glänzten von Tränen.
»Verzeihung«, sagte er. »Ich habe geklopft.« Das stimmte zwar, aber er fand trotzdem, dass seine Worte und sein Auftritt, ja, die ganze Situation, ein schlechter Einstieg waren, wenn man seine Angebetete aufsuchte. »Ich werde wieder gehen«, sagte er, trat noch zwei-, dreimal vom einen Bein aufs andere, bevor er den Rückzug antreten wollte.
»Aber nein, Hauptmann«, rief Francesca und ging ihm entgegen. Sie trug ein bezauberndes, malvenfarbenes Kleid, das bei jedem Schritt knisterte, und als sie sich mit einem Spitzentaschentuch die Tränen von den bleichen Wangen tupfte, verspürte er den kaum zu bändigenden Wunsch, sie vor allen Gefahren und allem Kummer dieser Erde zu beschützen, sie zu
umarmen und nie wieder loszulassen. »Ich bin erfreut, dass Ihr meiner Einladung zu der Feier gefolgt seid und Euch auch von Treppen und geschlossenen Türen nicht habt aufhalten lassen, mir Eure Aufwartung zu machen. Darf ich Euch meinen Bruder Sebastiano vorstellen. Sebastiano, das ist Hauptmann Forli.«
Die Begrüßung zwischen ihm und Sebastiano Farnese verlief kurz und gezwungen. Keinem fiel etwas ein, das er hätte sagen können. Sebastiano schien noch immer erregt zu sein, auch ein bisschen verzweifelt, zugleich lag ein Ausdruck von Wut und finsterer Entschlossenheit auf seinem Gesicht. Forli wiederum sah sich außerstande, mit dieser Situation umzugehen: Weinende Geschwister kamen in einer Offiziersausbildung nicht vor.
»Ich störe«, sagte er, und fügte hinzu: »Oder?«
Francesca lächelte, das war ein aufmunterndes Zeichen. Aber vielleicht lächelte sie auch nur über seine unbeholfene Art, über einen unfreiwilligen Komödianten, der in ihr Zimmer geplatzt war.
»Es ist ja nur wegen...«, stammelte er. »Ich habe Euch auf der Feier unten vermisst.«
»Ich hatte vor, teilzunehmen, Hauptmann. Aber meinem Bruder Ranuccio gefiel das Kleid nicht, das ich trage.«
»Ich finde es wunderschön.«
»Danke. Doch die Tatsache, dass es wunderschön ist, stellt den Grund dafür dar, dass es Ranuccio nicht gefällt.«
»Hört sich an, als sei er eifersüchtig«, sagte Forli.
»Schlimmer«, mischte Sebastiano sich ein und biss die Zähne zusammen. »Er ist ein Tyrann. Wenn er nicht...« Er unterbrach sich selbst. »Ich werde jetzt gehen und mich kurz auf der Feier sehen lassen.«
»Kommst du nachher noch einmal bei mir vorbei?«, fragte Francesca bittend, fast flehend, und sie tauschten einen Blick
miteinander, wie nur Menschen es tun, die sich seit Ewigkeiten kennen und vertrauen.
»Natürlich«, sagte Sebastiano und lächelte, wenn auch nur kurz. Als er ging, ließ er die Tür offen stehen, wie es üblich war, wenn Mann und Frau, die nicht verwandt oder verheiratet waren, sich allein in einem Zimmer aufhielten.
Forli und Francesca schwiegen eine Weile. Sie wischte sich die letzte Träne aus dem Gesicht, strich vorsichtig über ihre Frisur und das Kleid, während er sie dabei beobachtete. Ihren Bewegungen lag etwas Zaghaftes, Fragiles zugrunde. Sie erinnerten ihn an einen jungen Igel, den er als Kind in einer Wiese gefunden hatte, ein zittriges, mutloses Geschöpf, das er mit nach Hause genommen und erfolgreich aufgezogen hatte – ohne jemandem davon zu erzählen. Ein bisschen hatte er sich geschämt für seine gute Tat.
»Ich habe Euch
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