Die Hure von Rom - Walz, E: Hure von Rom
nicht. Nicht mehr, seit er Massas verdammten Auftrag ausführte.
Vermutlich sah er wie ein leidender Hund aus, denn Francesca lächelte ihn aufmunternd an. »Ihr dürft mich zum Tanz bitten, Hauptmann.«
Aus dem Festsaal drang schon die ganze Zeit fröhliche Lautenmusik herauf.
Forli verneigte sich und bot ihr den Arm an. »Lasst uns hier oben tanzen, Donna Francesca, nur Ihr und ich. So lange, wie es nur irgendwie geht.«
»So lange, wie es nur irgendwie geht«, wiederholte sie.
Er lief über die Cestio-Brücke, dann nach Nordwesten. Ein paar Lichter vom anderen Ufer spiegelten sich auf dem schwarzen Tiber und brachen sich dort zu unzählbaren Sternen, die kamen und gingen, kamen und gingen, um woanders wieder aufzutauchen und zu vergehen. Diese Lichter waren der einzige Hinweis darauf, dass er neben dem Tiber herlief, gegen den Strom lief. So unsichtbar wie der Fluss in der Nacht war, so schwer war er zu hören, nur ein leises Rauschen, das sich in seinen Ohren mit dem Rauschen des Blutes vermischte. Ihm gingen so viele Gedanken durch den Kopf, so viele Sorgen, dass sie die Schläfen zum Pulsieren brachten. Er hatte starke Kopfschmerzen, und er war müde.
Die Augen einer Katze strahlten ihn grünlich an und beobachteten ihn in der Hoffnung, dass er Nahrung für sie hatte. Roms Katzen hungerten ständig, schon seit Jahrtausenden, seit Romulus und Remus. In letzter Zeit machte man sie außerdem für das Böse verantwortlich, man jagte und verbrannte sie bei lebendigem Leib, wobei ihre entsetzlichen Schreie von den Klängen der Tamburine, Flöten und Fanfaren begleitet wurden. Die gerösteten, verkohlten Tiere warf man den Armen zum Fraß vor.
Als er sich nach einer Weile umdrehte, war sie noch immer in seiner Nähe. Dann vergaß er sie.
Auf dem Weg durch die Nacht durchlebte er noch einmal den ganzen Abend und noch mehr, er durchlebte die letzten Jahre und sogar die Kindheit, aber diese Erinnerungen kamen
ihm vor, als würde er über einen Friedhof laufen, einen Ort, den es gab und den man betreten konnte, der aber nichts Gegenwärtiges mehr hatte. Jeder Schritt, den er tat, und jeder Gedanke an die Vergangenheit war wie ein Abschied.
Aus der einen Katze waren drei geworden, sechs Augen, die ihm in respektablem Abstand folgten. Möglicherweise hing der Geruch von Essen an seiner Kleidung oder den Händen. Er blieb stehen, um sie zu verscheuchen, doch sie ließen sich weder von seinen fahrigen Gesten noch von einem Aufstampfen beeindrucken, im Gegenteil, sie wandten ihren Blick sogar zur Seite, irgendwohin ins Dunkel, als interessiere sie das, was dort geschah, weit mehr als seine Aufregung.
Ernüchtert über seine vergeblichen Versuche, die Katzen zu verjagen, setzte er seinen Weg fort. Nach etwa zehn Schritten meinte er, Atemgeräusche zu hören, die nicht von ihm kamen. Er wandte sich um, erschrak über eine Gestalt direkt vor ihm, ein Schatten nur – und dann spürte er einen heißen, lodernden Schmerz in seinem Bauch.
Er sank auf die Knie, fiel zur Seite, krümmte sich. Worte, die er selbst nicht mehr verstand, kamen über seine Lippen. Das Rauschen in seinen Ohren wurde zum Tosen und verlosch im nächsten Moment.
19
Als Sandro mitten in der Nacht den Vatikan betrat, erhielt er vom Nachtpförtner einen Brief ausgehändigt. In einer Handschrift, die er unter Tausenden erkannt hätte, stand sein Name auf dem Umschlag geschrieben.
Sandro fand es albern, dass sein Herz wild zu klopfen begann, und doch konnte er es nicht verhindern. Es klopfte wie
vor vierzehn Jahren, als er mit Claudia Rocco einen verliebten Blick tauschte, und wie vor elf Jahren, als Beatrice Rendello, eine fünf Jahre ältere Witwe, ihn das erste Mal in ihr Haus holte und berührte. Bisher hatte es nie so geklopft, bei keiner anderen Frau, nur bei Claudia, der ersten Frau überhaupt, und bei Beatrice, der ersten Frau, die ihn einen verdammt hübschen Mann genannt hatte – wobei ihn nicht das Wort hübsch, sondern das Wort Mann erregte, denn bis dahin war er nach eigener Meinung und der Meinung aller noch ein Junge gewesen. Heute, in diesem Moment, fühlte er sich wieder wie ein Junge, ja, er fühlte sich, als habe es Claudia und Beatrice nie gegeben.
Und das alles nur, weil Antonia seinen Namen auf einen Umschlag geschrieben hatte.
»Wann wurde der Brief abgegeben?«, fragte Sandro.
»Am frühen Abend. Von einer Frau.«
Der Pförtner sah aus, als wisse er Sandros Gesichtsausdruck genau zu deuten. Auf dem Pult lagen drei
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