Die Hure von Rom - Walz, E: Hure von Rom
eben nicht die ganze Wahrheit gesagt, Hauptmann«, gestand sie mit leiser Stimme. »Weswegen ich nicht auf die Feier gegangen bin, meine ich. Es stimmt, Ranuccio hat mir Vorwürfe wegen des Kleides gemacht und darauf bestanden, dass ich mich umziehe. Aber nachdem er mir das gesagt hatte, war ich zu erschöpft, um mich umzuziehen. Weniger körperlich, eher... Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll. Tatsache ist, Hauptmann, dass ich eine Frau bin, die bei der geringsten Kleinigkeit oder Zumutung zusammenbricht.«
Ihr Ton ließ erkennen, wie sehr sie über ihr eigenes Verhalten unglücklich war.
»Ich war so niedergeschlagen, dass ich sogar mein Versprechen vergessen habe, Euch einen Tanz zu schenken. Und dann kam Sebastiano.« Sie dachte nach. »Hauptmann, ich möchte Euch warnen. Ranuccio ist ein Teufel, und wenn er uns jetzt miteinander sehen könnte...«
»Er sieht uns nicht. Und selbst wenn, ich habe keine Angst vor ihm.«
»Ich schon«, erwiderte sie. »Er hat etwas Furcht einflö ßendes an sich. Zwar rührt er mich niemals an, nicht einmal mit den Fingerspitzen, so als wäre ich ein Tempel mit einer heiligen Flamme darin. Aber wenn ich etwas tue, das ihm nicht gefällt, kann er so laut schreien, dass ich alleine davon weinen muss. Glücklicherweise respektiert er die Privatheit meines Zimmers, und wenn ich die Tür schließe, wagt er noch nicht einmal anzuklopfen. Wenn er mir dann etwas auszurichten hat, schickt er meine alte Amme und Zofe zu mir.«
Forli staunte über ihre Offenheit. Immerhin kannten sie sich erst seit gestern, und schon enthüllte sie ihm Geheimnisse, die andere ein Leben lang mit sich herumtrugen. Doch gerade diese Offenheit machte ihm Mut.
»Wieso erzählt Ihr mir das?«, fragte er.
Sie senkte den Kopf. »Damit Ihr die Tür schließt.«
Er tat es, und als er sich umdrehte, stand sie vor ihm. »Ich möchte ehrlich zu Euch sein. Eine Frau in meiner Lage ist nicht mehr fähig zu unterscheiden, ob sie sich einem Mann um seiner selbst willen zugeneigt fühlt oder sich einfach nur Rettung von ihm erhofft.«
Nach diesen Worten wandte sie sich wieder ab. Sie holte ihr Spitzentuch hervor, es glitt ihr aus der Hand, sie hob es auf, und als sie sich wieder aufrichtete, fasste er sie von hinten an den Schultern, ganz sacht, so als sei sie aus Porzellan. Er erinnerte sich nicht, einen Menschen jemals auf diese Weise berührt zu haben, auch nicht die Frauen, um die er sich früher bemüht hatte. Seine Arme, seine Hände – Samsonhände hatte seine Mutter sie genannt – waren nicht für Zerbrechliches geschaffen, denn sie zerbrachen alles. Francesca jedoch zerbrach nicht. Plötzlich konnte er Zärtlichkeit geben, vielleicht weil er Zartheit spürte. Es war ihm egal, ob Francesca einfach nur ein wenig Schutz bei ihm suchte, oder ob sie das Gleiche fühlte wie er. Sie war bei ihm. Alles andere war unwichtig.
Er drehte Francesca langsam herum, sodass er ihr in die Augen sehen konnte. Er wusste um die Wirkung seiner eigenen Augen, dunkle, fürchterliche Höhlen, für die man sich eigentlich entschuldigen musste, die aber einem Soldaten, dessen Geschäft die Furcht war, gut anstanden. Doch nun versuchte er, alles was Furcht einflößend an ihm war, abzustreifen.
Möglicherweise hatte er damit wenig Erfolg, denn ganz plötzlich errötete Francesca.
»Entschuldigt«, sagte er und nahm die Hände von ihr. »Ich bin zu weit gegangen.«
Sie errötete noch tiefer. »Dasselbe habe ich gerade von mir gedacht. Dass ich mich unziemlich benehme und Ihr mich für leichtfertig halten müsst. Und vielleicht bin ich das auch...«
»Nein«, rief er. »Nein, das seid Ihr nicht.«
»Es ist ja nur... Wer wie ich aus diesem Haus kaum herauskommt, der beginnt, in Gelegenheiten zu denken: die Gelegenheit, mit jemandem zu sprechen, den man noch nicht kennt, die Gelegenheit, einen Scherz zu hören, über den man lachen kann, die Gelegenheit, ein neues Gefühl zuzulassen. Weil die Gelegenheiten aber so selten und so kurz sind …«
»Ich verstehe Euch, Donna Francesca, und ich würde nie schlecht von Euch denken.«
Die Röte flaute ab, und sie lächelte. »Ebenso wenig wie ich von Euch schlecht denken würde. Ihr seid gewiss der ehrenhafteste und anständigste Mann von ganz Rom, dem nichts ferner liegt als Gemeinheit, Arglist und Unaufrichtigkeit.«
Ihre Worte hätten so schön sein können, doch sie waren wie Bauchschläge für ihn. Der Mann, den Francesca da beschrieb und für den sie ihn hielt – das war er
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