Die Hurenkönigin (German Edition)
auf und stürmte davon.
Als Ursel durch das Leonhardstor zum Main ging, ertönte aus der Ferne dumpfes Donnergrollen, und ein immer stärker werdender Wind kräuselte die Oberfläche des Flusses. Am wolkenverhangenen Himmel über der anderen Uferseite blitzte ein Wetterleuchten. Es war drückend schwül, und die Hurenkönigin war schweißnass von der Hitze und dem inneren Aufruhr. Sie spähte den Mainkai entlang. Es waren kaum noch Menschen unterwegs, die meisten hatten sich vor dem drohenden Unwetter in ihre Häuser zurückgezogen. Lediglich ein paar Fischer vertäuten noch ihre Boote und kletterten ans Ufer. Ursel ließ sich ein Stück von ihnen entfernt auf der Kaimauer nieder und blickte auf die bräunlichen Wellen, die unter ihren Füßen gegen die Mauer klatschten. Die Gischt benetzte ihre Beine. Tief sog sie den Geruch des Wassers ein. Sie war gerne hier unten am Fluss, liebte es, am Ufer zu sitzen, aufs Wasser zu schauen und die Gedanken treiben zu lassen. Auch jetzt hatte die Nähe des Gewässers etwas Tröstliches für sie. Sie nahm das Theriakfläschchen aus ihrem ledernen Brustbeutel und entkorkte es. Ein dröhnender Donnerschlag ließ sie zusammenfahren, gleich darauf zerrissen Blitze die dunklen Wolken, die der Wind in immer schnellerem Tempo über den Himmel trieb. Dicke Regentropfen fielen. Die Hurenkönigin starrte auf die geöffnete Glasphiole in ihren Händen und wurde unversehens von einem Schluchzen geschüttelt, das tief aus ihrem Innern kam. Mit einem lauten Aufschrei schleuderte sie das Fläschchen ins Wasser. Während sich über ihr die Elemente entluden, brach sich ihre aufgestaute Verzweiflung Bahn, ihre Schreie vermischten sich mit dem Donner und die Tränen vereinten sich mit den sintflutartigen Regengüssen.
Ursel war nass bis auf die Haut, als sie sich erhob, das gelbe Gewand klebte an ihrem Körper, und bei jedem Schritt gluckste das Wasser in ihren Schuhen. Der Sturm peitschte ihr den Regen ins Gesicht, die gleißenden Blitze und die krachenden Donnerschläge ließen sie immer wieder zusammenzucken, doch sie vermochten sie nicht aufzuhalten, als sie durch die menschenleeren Gassen zum Haus ihres Geliebten eilte.
»Verzeih mir, mein Liebster!«, flüsterte Ursel, als ihr Bernhard die Tür öffnete und sie eintreten ließ. Er blickte sie nur schweigend an. Ihm war deutlich anzumerken, wie verletzt er war.
»Ich werde das Zeug nie wieder anrühren, das schwöre ich dir!«, beteuerte die Hurenkönigin inbrünstig und klammerte sich wie eine Ertrinkende an ihn. Sie sanken auf den Dielenboden der Eingangshalle und liebten sich so leidenschaftlich wie die Elemente, die sich draußen tosend entluden.
Danach lagen sie einfach nur da und lauschten dem strömenden Regen, bis sie sich schließlich zu Tisch begaben. Sie aßen und tranken roten Wein und sprachen über alles, was sie bewegte. Als der Regen nachgelassen hatte, machten sie sich gemeinsam auf den Weg zum Frauenhaus.
Die Dunstglocke, die den ganzen Tag auf der Stadt gelastet hatte, war wie weggefegt, und die Abendluft roch frisch und erdig. Ein feiner Nieselregen benetzte Ursels Gesicht, und obgleich ihr der Theriak noch in den Gliedern steckte, fühlte sie sich doch wundersam gestärkt.
Es hatte gerade zur achten Stunde geschlagen, als Ursel und Bernhard die Wohnstube des Frauenhauses betraten. Die tiefe Niedergeschlagenheit, die Ursel dort entgegenkam, schnitt ihr ins Herz. Sie öffnete die Fenster, um die kühle Abendluft hereinzulassen, setzte sich an ihren Platz an der Stirnseite des Tisches und erklärte mit bebender Stimme: »Es tut mir leid, dass ich euch in eurem Kummer alleingelassen habe. Bitte verzeiht mir meine Schwäche. Und jetzt seid so gut und holt die anderen herbei. Es gibt einiges zu besprechen …«
»Gut, dass Ihr wieder da seid, Meistersen«, murmelte die bayrische Agnes, die ganz aufgelöst wirkte. »Ich … ich bin nämlich krank und soll hier weg!«
Ursel erhob sich und schloss sie in die Arme. »Agnes, sei unbesorgt. Wir werden dir helfen und für dich sorgen. Die Hurengilde lässt dich nicht fallen, darauf kannst du dich verlassen.« Als Josef und die übrigen Huren, die sich in ihren Zimmern vergraben hatten, ihre Plätze am Tisch eingenommen hatten, berichtete Grid von den Ergebnissen der heutigen Untersuchung. Dann wandte sich Ursel an die beiden Huren und den Frauenhausknecht, die an der Geschlechtspest erkrankt waren.
»Es tut mir sehr leid für euch«, sagte sie mitfühlend.
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