Die Hurenkönigin (German Edition)
weisen?«
Jäh wandten sich die Patriziertöchter um und blickten die Frau mit dem hellgrauen Umhang erstaunt an. Ursel richtete ihre Aufmerksamkeit auf das Mädchen mit der braunen Atlashaube und erkundigte sich nach dem Weg zur Bartholomäuskirche. Während ihr die Stiftsfräulein den Weg erklärten, gewahrte sie, dass der Blick der jungen Frau zu Josef wanderte. Daraufhin erbleichte das Mädchen und drehte sich augenblicklich zur Seite.
Ursel bedankte sich für die Auskunft, und die Stiftsfräulein wandten sich zum Gehen.
Josef nickte der Hurenkönigin zu und raunte: »Die ist es!«
Die dunklen Augen der Hurenkönigin verengten sich zu Schlitzen. »Wir bleiben dran!«, befahl sie.
Am Ende der Weißfrauengasse löste sich die Gruppe auf, die Stiftsdamen gingen eilig in verschiedene Richtungen davon. Das Fräulein mit der Atlashaube blickte sich verstohlen nach ihren Verfolgern um und bog linker Hand in die Neue Kräme ein.
Als Ursel und Josef um die Ecke kamen, war die junge Frau jedoch wie vom Erdboden verschwunden.
»Wo kann sie denn nur hin sein?«, murmelte die Zimmerin und ließ ihre Blicke fieberhaft durch die Gasse schweifen, doch die graugewandete Gestalt war nirgendwo auszumachen.
»Das ist ja die reinste Hexerei!«, stieß Josef hervor.
»Nicht ganz«, bemerkte die Hurenkönigin mit einem triumphierenden Lächeln. Sie war stehen geblieben und schaute wie gebannt auf ein imposantes, mit zahlreichen Erkern und Giebeln versehenes Steinhaus. »Die Maus sitzt in der Falle!«
Josef starrte sie begriffsstutzig an.
»Mensch, kapierst du nicht? Die muss da reingegangen sein!«, erklärte Ursel, während sie die bunt verglasten Fenster an der Hausfassade betrachtete und über dem herrschaftlichen Eingangsportal ein in Stein gemeißeltes Familienwappen mit zwei gekreuzten Bartschlüsseln gewahrte.
»Das muss ein Patrizierhaus sein«, stellte sie fest. »Na, das passt ja. – Du bleibst hier stehen, und ich erkundige mich da vorne in der Backstube, wem das Haus gehört.«
Ehe Josef noch etwas erwidern konnte, war Ursel schon mit energischen Schritten davongeeilt.
Die sechzehnjährige Susanne Schlosser warf ihre Schulmappe auf die Truhe in der Eingangshalle und stürmte die Treppe hinauf in ihr Zimmer im ersten Stock. Der Hausmagd, die ihr nachrief, ob sie nicht einen Teller Suppe essen wolle, antwortete sie gereizt, sie habe keinen Hunger.
Ihr Herz schlug vor Aufregung bis zum Hals, als sie seitlich ans Fenster trat und vorsichtig hinunterspähte. Sie hatte ihn sofort erkannt, diesen grobschlächtigen Kerl – und er sie offensichtlich auch! Und jetzt stand er unten vor dem Haus und glotzte herauf. Susanne zuckte zusammen und zog sich zurück.
Was soll ich nur machen?, überlegte sie. Er weiß jetzt, wo ich wohne. Es war ein Fehler, gleich nach Hause zu gehen. Ich hätte die beiden erst in die Irre führen und mich dann absetzen sollen. Was führt er nur im Schilde? Wahrscheinlich will er mich erpressen!
Die veilchenblauen Augen der jungen Frau blickten angstvoll. Wenn nun alles ruchbar wird!, dachte sie, und da ertönte auch schon das durchdringende Geräusch des Türklopfers. Wenig später meldete ihr die Magd, der Pedell des Weißfrauenstifts sei unten an der Tür und habe ihr etwas zu bestellen.
»Ist gut, ich komme«, erwiderte Susanne und stakste mit weichen Knien die Treppe hinunter. Zum Glück waren ihre Eltern nicht zu Hause. Wie meist war der Vater in Geschäften unterwegs, und die Mutter befand sich bei irgendwelchen Freundinnen oder beim Gewandmacher …
Als Susanne die Halle durchquerte, standen die beiden auch schon in der geöffneten Tür und starrten sie an.
Fehlt nur noch, dass sie reinkommen!
Energisch drängte die Patriziertochter das Paar nach draußen und schlug die Haustür hinter sich zu.
»Was gibt’s?«, fragte sie ungehalten.
»Wenn du nicht auf der Stelle als Satansanbeterin denunziert werden willst, bleibst du jetzt ganz zahm und kommst brav mit uns«, raunzte Josef in ihr Engelsgesicht und packte sie am Arm.
»Fass mich nicht an, du Dreckskerl!«, fauchte Susanne und versuchte sich seinem Griff zu entwinden. »Ich rufe die Stangenknechte und lasse euch festnehmen!«
»Mach nur, du Rotznase! Denen werden die Augen übergehen, wenn wir erzählen, was du so treibst!« Die schwarzen Augen der Hurenkönigin blitzten so zornig, dass das Mädchen unwillkürlich zurückwich.
Sie ließ jeden Widerstand fahren und folgte den beiden.
Johannes Frobenius saß vor einem
Weitere Kostenlose Bücher