Die Hurenkönigin (German Edition)
ergeben, dass ich das Sagen hatte. Mal bestimmte ich, dass einer dem Schundmummel, der die Kloaken reinigte, einen Kübel Fäkalien überschütten musste, mal, dass einer in der Lateinschule auf dem Katheder des Magisters sein Geschäft zu verrichten hatte. Zu Hause war es doch immer so entsetzlich langweilig, da schlugen wir eben über die Stränge. Und dann entdeckte ich eines Tages in der Bibliothek meines Vaters einen alten Folianten. Darin ging es um häretische Sekten des Altertums, die bei ihren dionysischen Festen alles umkehrten und jede Ordnung auf den Kopf stellten. Das faszinierte mich ungemein, und ich las darüber alles, was ich ergattern konnte. Meinen grenzenlosen Wissensdurst konnte ich nur heimlich stillen, denn die meisten der Bücher standen auf dem Index, und meine Eltern durften davon keinesfalls etwas wissen. Auf diese Weise stieß ich auf den ›äffischen Kult‹, welcher in dem Teufel den Affen Gottes sieht, der das Göttliche nachahmt – und ich wusste sofort, dass es das war, wonach ich gesucht hatte. Ich versammelte diejenigen meiner Freunde um mich, denen ich vertrauen konnte, und weihte sie ein. Alle waren wie ich fasziniert von der Macht des Bösen, und bald darauf feierten wir unsere erste schwarze Messe. In einem feierlichen Akt wurden die Mitglieder getauft, erhielten satanische Namen und bekamen das Zeichen der Satanisten in die Haut geritzt. Wir feierten die völlige Entfesselung der Triebe … Diese schwarzen Messen waren für uns wie eine Fortsetzung unserer Mutproben, wir übertrafen uns gegenseitig darin, mannigfaltige Abscheulichkeiten zu begehen …«
»Das kann man wohl sagen«, bemerkte Josef mit finsterer Miene. »Was ihr damals in dem Wäldchen getrieben habt, das war an Abartigkeit kaum noch zu überbieten!«
Die beiden Satansjünger senkten verlegen die Köpfe. Ursel war es, als wäre über Susannes Madonnengesicht der Anflug eines Lächelns gehuscht, was sie unwillkürlich erschaudern ließ.
»Ich frage mich, wie eine Jungfer wie du, die auf der Sonnenseite des Lebens geboren wurde und alles hat, was man sich nur wünschen kann, an derartigen Ausschweifungen Gefallen finden kann«, sinnierte sie und blickte Susanne nachdenklich an. »Aber vielleicht gerade deshalb …« Sie ahnte, dass sie damit ins Schwarze getroffen hatte, denn die Angesprochene rang sichtlich um Fassung.
»Ihr glaubt ja gar nicht, wie langweilig es ist, immer nur schön zu sein und graziös zu lächeln!«, brach es wütend aus der Patriziertochter heraus. »Mein ganzes Leben verläuft in starren, vorgezeichneten Bahnen. Irgendwann werde ich heiraten, eine glänzende Partie, versteht sich, denn darauf wurde ich ja von klein auf vorbereitet. Ich werde eine Schar Kinder kriegen, an denen mir nichts liegt, von einem Mann, den ich nicht liebe, und unentwegt versuchen, die Leere und Langeweile meines Lebens mit netten Belanglosigkeiten und Schneiderbesuchen auszufüllen. Genauso wie meine Mutter!«
»Du armes reiches Mädchen, du! Mir kommen gleich die Tränen«, erwiderte die Zimmerin scharf. »Und dein Mann kommt dann zu uns ins Frauenhaus, weil er daheim bei seinem gefühlskalten Püppchen keinen hochkriegt!«
»Und wennschon – das wäre mir egal!«, entgegnete das Stiftsfräulein mit einem kalten Glitzern in den Augen. »Ich bin eine Braut Satans. Das ist das Einzige, was mir etwas bedeutet. Ich steige in Abgründe, die anderen für immer fremd bleiben. Diese düsteren Geheimnisse gehören nur mir allein, niemand kann sie mir nehmen. Ich bin anders als die anderen. Mit Leib und Seele habe ich mich dem Fürsten der Finsternis verschrieben. Das ist etwas ganz Einzigartiges und macht mich unsagbar glücklich …« Susanne hatte sich so in Ergriffenheit geredet, dass ihr die Tränen über die Wangen strömten.
Die Zimmerin unterbrach sie in schneidendem Tonfall: »Wenn ihr jämmerlichen Wichte so etwas braucht, um euch einen Kitzel zu verschaffen, tangiert mich das nicht weiter. Aber wenn ihr glaubt, ihr könnt euer Mütchen an einer unserer Gildeschwestern kühlen, dann kriegt ihr es mit mir zu tun!« Die letzten Worte hatte sie ihnen so laut ins Gesicht geschrien, dass die Wände bebten.
Johannes und Susanne drängten sich aneinander wie verschreckte Schafe.
»Wir haben ihr doch nichts getan! Sie war in der besagten Nacht des 21. Juni, dem heidnischen Fest der Sommersonnenwende, auch gar nicht bei uns!«, versicherte Johannes händeringend.
Die Hurenkönigin war jetzt so zornig, dass
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