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Die Hurenkönigin und der Venusorden

Die Hurenkönigin und der Venusorden

Titel: Die Hurenkönigin und der Venusorden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Neeb
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Mutter, die alles Leben hervorbringt. Zu allen Zeiten galt ihr fruchtbarer Schoß den Völkern der Erde als heilig. Doch sie ist auch die Königin der Schatten, die über den Tod regiert.« Almas Stimme bebte. »Erst die Kirche hat ihr diese Vielfalt geraubt und aus ihr nichts weiter als eine keusche Jungfrau gemacht. Aber sie ist und bleibt unsere Himmelskönigin.« Alma musterte die Hurenkönigin eindringlich. »Wir verwenden bei unseren Zusammenkünften immer ein bestimmtes Hilfsmittel, um der Großen Mutter nahe zu kommen«, erklärte sie in feierlichem Ton. »Ich denke, das sollten wir jetzt auch tun.« Sie streichelte Ursel über die Wange, schwang die Beine aus dem Bett und ging zur Truhe am Fenster, wo sie ihre Habseligkeiten aufbewahrte.
    »Was für ein Hilfsmittel?«, fragte Ursel irritiert.
    »Das hier«, erwiderte Alma und zeigte der Hurenkönigin einen Tontiegel.
    Als Ursel unwillkürlich zusammenzuckte, sagte sie lächelnd: »Keine Angst, das ist kein Theriak. – Es ist etwas viel, viel Besseres.« Sie nahm den Korkverschluss vom Tiegel. »Riech mal, wie gut es duftet.« Alma hielt der Hurenkönigin den Balsam unter die Nase, die den intensiven Geruch tief einsog.
    »Es riecht nach wilden Rosen – aber auch nach Moschus und Muskatblüte«, murmelte die Zimmerin konzentriert. »Und irgendwie auch ein bisschen nach Arznei …«
    »Die Salbe habe ich selber hergestellt«, erklärte ihr Alma, »nach einem alten, gehüteten Rezept der Venuspriesterinnen. Wir verwenden sie nur bei besonderen Anlässen. – Und einen solchen haben wir ja heute.« Almas Stimme war unversehens ganz samtig und schmeichelnd geworden. Ihre Augen glänzten, als sie Ursel betrachtete, und aus ihrem Blick sprach eine solche Wärme und Zuneigung, dass Ursel unwillkürlich eine Gänsehaut bekam. »Du bist einfach wunderbar!«, flüsterte Alma, während sie den Zeigefinger in den Tiegel tauchte und mit unendlich sanften, kreisenden Bewegungen die Stelle unterhalb des linken Brustansatzes bestrich, wo sich Ursels Herz befand. Anschließend tupfte sie sich selber etwas von dem Balsam auf die Pulsadern und schloss Ursel in die Arme.
    Die Hurenkönigin roch den Duft ihrer Haut und hatte das Gefühl, immer leichter zu werden. Anders als bei der bleiernen Schwere des Opiumrauschs, die unaufhaltsam nach unten zog, fühlte sie sich wundersam erhoben. Von einem unglaublichen Glücksgefühl durchströmt, ergab sie sich Almas zärtlichen Händen, die ihr die Pforte zum Paradies öffneten – und sie hatte einen wundersamen Traum.

5
    Dienstag, 27 . März 1512
    Der ganze Schnee war über Nacht weggetaut, und in den Gassen der Frankfurter Altstadt versank man bis über die Knöchel im Morast. Überall lag Unrat, der sich während der Messezeiten verstärkt ansammelte.
    Als der Gassenkehrer Albrecht Gimpel in den frühen Morgenstunden, lange bevor der Messerummel einsetzte, in der Limpurgergasse den Kehricht zusammenfegte, stieß er plötzlich einen wüsten Fluch aus. Im flackernden Licht seiner Teerfackel gewahrte er eine Horde streunender Hunde, die sich unweit einer Mauernische knurrend um etwas balgten, was wie ein Schweinekadaver aussah.
    Haben die verdammten Köter schon wieder eine Sau gerissen, dachte er verärgert und beschloss, noch heute dem Magistrat Meldung zu erstatten, damit der städtische Abdecker den Streunern den Garaus machte.
    »Die gehen einem ja noch an die Gurgel, die verdammten Mistviecher«, schimpfte Gimpel wütend und verjagte die räudigen und ausgemergelten Tiere mit der Fackel und mit Fußtritten. Der eine oder andere zog knurrend die Lefzen nach oben, ehe sich die Straßenköter schließlich mit eingezogenen Schwänzen davonmachten.
    Der Gassenkehrer war zwar erst Mitte dreißig, aber längst kein junger Mann mehr. Die Gicht, die ihn vor allem in der kalten Jahreszeit plagte und ihm das ewige Bücken zur Qual machte, schwächte ihn sehr. Und so ließ er, als ihm klarwurde, dass es sich bei dem vermeintlichen Aas um einen menschlichen Körper handelte, der blutüberströmt in der Mauernische lag, vor Schreck die Fackel fallen und musste sich keuchend an der Hauswand abstützen, um nicht haltlos in sich zusammenzusacken.
    Das Gesicht des Leichnams mit dem Spitzbart am Kinn verriet Albrecht Gimpel, dass es sich um einen männlichen Toten handelte. Die weit aufgerissenen bläulichen Lippen, zwischen denen ein dicker blutiger Knebel steckte, muteten geradezu grotesk an und erinnerten Gimpel an einen gepökelten

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