Die Hurenkönigin und der Venusorden
Theriak in den Trinkbecher und reichte ihn ihr. »Trinkt nur, meine Liebe, das wird Euch guttun!«
Gehorsam schluckte Genoveva die dargereichte Medizin hinunter und blickte sich eine Spur gefasster in der weitläufigen Wohnstube um. »Wo ist denn der Hund?«, fragte sie mit schwacher Stimme.
»Die Asta habe ich in die Küche gebracht, damit sie ihr Fressen kriegt«, erklärte die Tochter. »Soll ich sie holen?« Ohne die Antwort ihrer Mutter abzuwarten, stand Gertrud auf und eilte aus dem Zimmer. Wenig später kehrte sie mit einer grauen Windspielhündin zurück, die von der Trauer ihrer Herrin wenig beeindruckt schien. Im Gegenteil: Das filigrane Tier sprang freudig an Frau Uffsteiner hoch und stupste sie so ausgelassen mit der Schnauze an, dass Genoveva bei aller Niedergeschlagenheit unwillkürlich lächeln musste. Während sie dem Tier liebevoll über den Kopf streichelte, murmelte sie wie zu sich selbst: »Ist gut, mein Mädchen, ist doch alles gut …« In ihrem Tonfall schwang fast so etwas wie Erleichterung mit.
Den Bürgermeister befremdeten die beiläufig dahingesagten Worte der Witwe, obwohl ihm hinlänglich bekannt war, welch schwere Bürde die aus begütertem Hause stammende Genoveva all die Jahre an der Seite ihres gewalttätigen Gatten getragen hatte. Schnell verabschiedete er sich mit dem Hinweis, der Untersuchungsrichter erwarte ihn.
Anton Neuhof schloss sich dem Bürgermeister an. Sobald nur noch der Arzt und die beiden Frauen in der Wohnstube waren, trat Gertrud zu ihrer Mutter und legte ihr fürsorglich den Arm um die Schultern.
»Komm, Mutsch, leg dich doch auf den Diwan, da hast du es bequemer«, schlug sie vor.
»Das ist eine ausgezeichnete Idee«, stimmte ihr Doktor Armbrüster zu und führte die Geschwächte mit Unterstützung von Gertrud zur Liege.
Als Gertrud ihrer Mutter die Kissen aufgeschüttelt und die Decke über sie ausgebreitet hatte, sagte sie spontan: »Hol dir doch Asta unter die Decke, die wird dich wärmen!«
Genoveva schüttelte verschämt den Kopf und erwiderte leise: »Das geht doch nicht, dann ist doch alles voller Hundehaare!«
»Na und!«, entgegnete Gertrud prompt. »Wen soll denn das noch scheren?«
Frau Uffsteiner zögerte kurz, dann rief sie die Windspielhündin zu sich, die sich mit wohligem Schnauben an sie kuschelte. Ihre Herrin gähnte und schloss die Augen. Bevor sie sich der Müdigkeit hingab, die das Opiat in ihr verbreitete, murmelte sie mit schwerer Zunge: »Und leg ruhig noch etwas Holz nach, Gertrud, damit wir es schön warm haben.«
Gertrud tat wie ihr geheißen und ging anschließend in die Küche, wo die junge Dienstmagd und die Köchin weinend am Tisch saßen.
»Du kannst gleich auf dein Zimmer gehen und deine Sachen packen, Traudel!«, wandte sie sich in scharfem Ton an die Magd, die entsetzt zu ihr aufsah. »Jetzt, wo Vater tot ist, wirst du hier nicht mehr gebraucht.« Ohne auf das Lamentieren der Magd einzugehen, machte Gertrud auf dem Absatz kehrt und verließ den Raum.
Die Mienen des Untersuchungsrichters und des Arztes waren mehr als ernst, als sie Bürgermeister Reichmann und Senator Neuhof in der Leichenhalle des städtischen Friedhofs begrüßten. Es stand auch eine Spur von Entsetzen in ihren Gesichtern.
»Wir sind mit der Leichenschau gerade fertig geworden«, begann der Stadtphysikus Doktor Schütz, auf dessen faltiger Stirn feine Schweißperlen glitzerten. »Wenn die Herren es wünschen, kann ich Euch anhand des Leichnams eine kurze Zusammenfassung des Tathergangs geben.«
Mit fragendem Blick wies er auf eine Bahre an der Wand. Unter einem weißen Laken zeichnete sich ein menschlicher Körper ab.
Reichmann überlief ein kalter Schauder, was nicht allein an der kühlen Temperatur im Bahrhaus lag, und gepresst murmelte er: »Äh, das wird nicht nötig sein. Ihr könnt uns auch so einen Rapport geben.«
Doktor Schütz nickte verständig. »Es ist auch fürwahr kein schöner Anblick«, sagte er, »der Torso weist sowohl am Rücken als auch im Brust- und Bauchbereich insgesamt dreiundzwanzig Messerstiche auf, die dem Opfer, wie anhand der starken Blutspuren im Wundbereich erkennbar ist, eindeutig nicht post mortem zugefügt wurden.«
Die Gesichter von Reichmann und Neuhof waren bei den Ausführungen des Arztes aschfahl geworden.
»Geht es?«, fragte Doktor Schütz besorgt und rückte den Herren zwei Stühle hin. »Vielleicht solltet Ihr Euch besser setzen«, empfahl er und musterte die beiden betreten, »das Schlimmste kommt
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