Die Hurenkönigin und der Venusorden
nämlich noch.« Dann holte er tief Luft, bevor er mit tonloser Stimme erläuterte: »Dem Opfer wurden mit einem glatten Schnitt die Genitalien abgetrennt – und das vermutlich ebenfalls bei lebendigem Leibe …«
»Großer Gott«, stammelte Reichmann bestürzt. »Das ist ja bestialisch!«
»In der Tat!«, meldete sich nun auch der junge Untersuchungsrichter Martin Fauerbach mit düsterem Blick zu Wort. Er biss sich auf die Unterlippe, ehe er zögernd ergänzte: »Und damit nicht genug, der Mörder hat dem Toten auch noch Hoden und Penis in den Mund gestopft.«
»Das ist doch abartig!«, schrie der Schwager des Ermordeten und schüttelte fassungslos den Kopf. »Wer tut denn so etwas?«
Fauerbach räusperte sich und erwiderte mit belegter Stimme: »Eine solch grausame Tat muss das Werk eines Wahnsinnigen sein.« Unterhalb seines eleganten Samtbaretts rann ihm in Strömen der Schweiß über die Schläfen, und er wischte sich mit einem weißen Tuch die Stirn ab.
In der von hellem Fackelschein erleuchteten Leichenhalle herrschte für geraume Zeit bleiernes Schweigen.
»Oder einer Wahnsinnigen«, durchbrach Anton Neuhof mit einem Mal die Stille und warf den anderen Herren einen unheilvollen Blick zu. Alle drei sahen ihn entgeistert an, seine ungeheuerliche Äußerung machte sie zunächst sprachlos.
»Du meinst, das war vielleicht eine Frau?«, entfuhr es dem Bürgermeister schließlich, und er presste bestürzt eine Hand auf die Brust.
Neuhof nickte und verzog abschätzig die Mundwinkel. »Kannst du dich nicht mehr daran erinnern, was diese Hübscherin letzte Nacht im Frauenhaus zu dem armen Claus gesagt hat?«
Den Bürgermeister durchfuhr es siedend heiß. »Sie will ihm die Eier abschneiden, hat sie gesagt …« Reichmann schlug erschrocken die Hände zusammen.
Untersuchungsrichter Fauerbach, der noch nicht lange im Amt war und, im Gegensatz zu seinem Vorgänger Melchior Lederer, als äußerst ehrgeizig und gewissenhaft galt, baute sich gewichtig vor den Honoratioren auf. »Das will ich jetzt aber genauer wissen!«, forderte er in amtlichem Tonfall.
Die Hurenkönigin erwachte kurz nach der neunten Morgenstunde mit heftigen Kopfschmerzen. Sie fühlte sich fast so sehr gerädert, als hätte sie Theriak genommen. Noch völlig benommen versuchte sie sich zu erinnern, was in der vergangenen Nacht genau passiert war, aber es fiel ihr schwer, zwischen Traum und Wirklichkeit, Trugbild und Wahrheit zu unterscheiden. Im Grunde genommen kam ihr alles vor wie ein einziger Rausch – auch das lustvolle Erlebnis mit Alma. Bruchstückhaft fiel ihr wieder ein, dass es ihr im Drogenrausch so vorgekommen war, als hätte sie einem Treffen der Venusschwestern beigewohnt. Die Vision der Schattengestalt, die ihr plötzlich in den Sinn kam, erfüllte sie mit blanker Furcht, und das Herz klopfte ihr bis zum Hals.
Ursels Blick fiel auf Alma, die an ihrer Seite lag und ihr den Rücken zukehrte. Sie schien noch tief und fest zu schlafen. Unwillkürlich rückte die Hurenkönigin von ihr ab und bedauerte es in diesem Moment, dass sie sich auf ein Abenteuer mit ihr eingelassen hatte. Bohrende Schuldgefühle stiegen in ihr auf. Alma schien sie aufrichtig zu lieben, doch Ursel musste sich eingestehen, dass sie, obgleich sie von Alma fasziniert war, diese Gefühle nicht teilte. Ihre Liebe galt Bernhard. Aber der hatte sie schmählich mit der jungen Ulmerin betrogen, nachdem er ihr den Laufpass gegeben hatte. Bei dem Gedanken daran durchfuhr Ursel ein bohrender Schmerz. Nicht zuletzt deswegen, um sich an ihm zu rächen, hatte sie sich auf die Liebesnacht mit Alma eingelassen.
Mit einem Mal kam sie sich entsetzlich schäbig vor. Der Kummer wegen Bernhard raubte ihr fast den Verstand. Was ist nur aus uns geworden?, fragte sie sich bitter, und je länger sie über alles nachgrübelte, desto dicker wurde der Kloß in ihrem Hals. Sie fühlte eine so brennende Sehnsucht nach dem Geliebten, dass ihr unversehens die Tränen kamen.
Gestern hatte sie sich von den Gedanken an ihn ablenken können, doch nun brach der aufgestaute Schmerz über sie herein und schnürte ihr die Kehle zu. Ihr Mund war wie ausgetrocknet.
Ursel beschloss aufzustehen, um sich in der Küche einen Krug Wasser zu holen. Auf leisen Sohlen, um Alma nicht zu wecken, schlich sie zum Kleiderhaken, schlüpfte hastig in ihr gelbes Hurengewand und drückte vorsichtig die Klinke.
Als sie mit bloßen Füßen über den Flur tappte, wurde es ihr kurz schwarz vor Augen, das Blut pochte
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