Die Hurenkönigin und der Venusorden
den Kopf und hielt Ausschau nach Bernhard, der genau wie der Henker und ein paar Kumpane von Franz dem Verstorbenen die letzte Ehre erwiesen hatten. Sie entdeckte ihn schließlich neben der Totenleuchte und fühlte trotz des nasskalten Wetters ein warmes Gefühl in sich aufsteigen. Die Hurenkönigin räusperte sich und verkündete mit erhobener Stimme: »Zum Gedenken an Franz möchte ich alle noch zu einem kleinen Umtrunk ins Frauenhaus einladen – wir gehen los, sobald sich das Wetter beruhigt hat.«
Als die Hagelkörner allmählich in Regen übergingen, gab Ursel das Zeichen zum Aufbruch. Auf dem Weg zur Friedhofspforte wartete sie, bis Bernhard sie eingeholt hatte. »Danke, dass du gekommen bist«, sagte sie leise und ergriff seine Hand.
»Das ist doch selbstverständlich«, erwiderte Bernhard und musterte sie eindringlich. In seinem Blick lag Mitgefühl, aber auch ein Wohlwollen, das Ursel sehr berührte. Sein Händedruck war fest und warm, und sie empfand in diesem Moment bei aller Trauer auch ein mächtiges Glücksgefühl.
Als sie vor der schmalen Friedhofspforte angekommen waren, lösten sich ihre Hände wieder voneinander – was die Hurenkönigin tief bedauerte. Am liebsten hätte sie ihn ewig festgehalten.
Während Bernhard und Ursel hinter den anderen Trauergästen durch die Schäfergasse gingen, unterhielten sie sich über Franz und sein unglückseliges Ende, das für beide unfassbar war. Für die Hurenkönigin war es ein großer Trost, Bernhard an ihrer Seite zu wissen. Sie fühlte sich ihm verbunden wie in den besten Zeiten.
Schließlich hatten sie das Frauenhaus erreicht, aber Ursel verspürte mit einem Mal ein nagendes Unbehagen. Was ist, wenn er Irene sieht? , dachte sie bekümmert.
Wie die anderen auswärtigen Hübscherinnen hatte es die junge Ulmerin vorgezogen, im Frauenhaus zu bleiben, um den letzten Tag der Frankfurter Frühjahrsmesse noch voll auszunutzen. Die Hurenkönigin folgte den anderen Trauergästen mit beklommener Miene in den Schankraum und ließ ihre Blicke über die Tische schweifen, wo die Huren mit ihren Freiern saßen. Erleichtert stellte sie fest, dass Irene nicht anwesend war. Gemeinsam mit Bernhard und Josef nahm Ursel am großen Tisch neben dem Kachelofen Platz, wo die Huren sonst ihre Mahlzeiten einnahmen und auch Versammlungen abhielten. Die Hurenkönigin hatte ihn eigens für den Leichenschmaus freihalten und eindecken lassen.
Die Köchin kredenzte ihnen Rosinenbrötchen und Kuchen, während die Mägde Krüge mit Wein auf den Tisch stellten. Der bullernde Ofen spendete der durchnässten Trauergesellschaft wohltuende Wärme, und bald entspann sich ein reges Gespräch, das in der Hauptsache um den Verstorbenen kreiste.
Auf der anderen Seite von Josef saß ein stiernackiger Mann von beachtlichem Leibesumfang, den der Holzknecht als Eckart Messer, den Wirt der Leonhardsschenke, vorstellte. Wie die Hurenkönigin erfuhr, war Franz in der Nacht vor seinem Tod noch dort eingekehrt.
»Franz war schon ziemlich abgefüllt, als er kam, und hat sich an einen Tisch im hintersten Winkel verzogen«, berichtete der Wirt. »Ich habe ihm sein Bier gebracht und ihn in Ruhe gelassen. Der Laden war ja voll bis unters Dach, und ich hatte viel zu tun, wie das halt so ist während der Messe. Und der Franz hat so trübsinnig aus der Wäsche geguckt. Später hat sich dann einer unserer Herbergsgäste zu ihm gesetzt und sich mit ihm unterhalten. Offenbar hat er es geschafft, den Franz aus seinem Kummer zu reißen, denn die zwei waren so ins Gespräch vertieft, dass sie jedes Mal zusammengezuckt sind, wenn ich an den Tisch gekommen bin. Ich habe dann die letzte Runde eingeläutet, und Franz hat für den anderen mitbezahlt, dann sind sie sich um den Hals gefallen, und sein Saufkumpan hat dem Franz, als er zur Tür getorkelt ist, noch nachgerufen, er soll die Ohren steifhalten. Dann hat er bei mir an der Theke noch einen Schnaps gezwitschert und ist hoch auf sein Zimmer gegangen.« Der korpulente Wirt hielt inne und seufzte traurig. »Wie hätte ich denn ahnen können, dass ich Franz an diesem Abend zum letzten Mal sehen würde?«
»Wie heißt denn dieser Mann? Wohnt er noch bei Euch?«, fragte die Hurenkönigin aufgeregt.
»Nein, er ist gestern Morgen abgereist«, erwiderte der Gastwirt. »Er heißt Winfried Käther und ist ein fahrender Barbier aus dem Rheinland. Wenn er in Frankfurt ist, steigt er immer bei uns ab. Wir kennen ihn alle als den Rheinländer Winnie, ein fröhlicher,
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