Die Hurenkönigin und der Venusorden
berichtete sie dem Untersuchungsrichter, dass sie bereits kurze Zeit, nachdem sie das Haus verlassen hatte, in der benachbarten Limpurgergasse auf ihre Angehörigen gestoßen sei. »Schon von weitem habe ich ihre aufgeregten Stimmen gehört und bin sofort hingelaufen. Ich habe geahnt, dass etwas Schlimmes passiert sein musste. Als meine Tochter und mein Bruder mich gesehen haben, sind sie mir entgegengeeilt und wollten mich daran hindern, weiterzugehen.« Frau Uffsteiner schluchzte. »Es war so ein schrecklicher Anblick!«, gestand sie mit tränenerstickter Stimme. »Wie er da am Boden lag … Er war blutüberströmt und so schrecklich entstellt, mit diesem entsetzlichen … Ding, das ihm aus dem Mund ragte … Ich werde diesen Anblick niemals vergessen!«, wimmerte sie und raufte sich die Haare.
Der Richter, der ihr aufmerksam zugehört hatte, ließ sie gewähren. Er wusste, dass er Genoveva Uffsteiner keine Fragen mehr stellen musste. Jetzt, nachdem der Knoten geplatzt war, würde sie ihm alles erzählen.
Genoveva fuhr fort: »›Er lebt noch‹, sagte meine Tochter, ›wir müssen sofort Hilfe holen.‹ Mein Bruder wollte schon unseren Hausarzt Doktor Armbrüster rufen, der auf der Zeil wohnt …« Genoveva stöhnte und stieß dann hervor: »Doch ich habe ihn zurückgehalten. Lasst ihn sterben, habe ich zu ihnen gesagt. Er hat uns all die Jahre das Leben zur Hölle gemacht. Es ist gut, wenn wir ihn endlich los sind …« Sie gab ein verzweifeltes Schluchzen von sich. »Und dann haben wir ihn einfach dort liegen lassen und sind wieder nach Hause gegangen. Ich … ich … das werde ich mir nie verzeihen! Er war doch mein Ehemann, und ich habe ihn geliebt, trotz allem …«
Als der Richter den Senator Anton Neuhof mit den Aussagen seiner Schwester konfrontierte, verschlug es dem Patrizier zunächst die Sprache.
Eine ganze Weile lang dachte er angestrengt nach, dann erklärte er schließlich, dass dies nicht der Wahrheit entspreche.
»Meine Nichte Gertrud war es, die gesagt hat, dass wir ihn liegen lassen sollen, nicht meine Schwester«, erklärte er mit bebender Stimme. »Genoveva war überhaupt nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Sie war vollkommen außer sich, und wir hatten alle Mühe, dass sie nicht durchdrehte vor Schmerz – zumal auch mir der entsetzliche Anblick meines Schwagers sehr zusetzte. Gertrud war von uns allen am meisten gefasst, und sie war es auch, die die Entscheidung traf, den Sterbenden sich selbst zu überlassen. Meine Schwester hat aufbegehrt, und auch ich stellte mich entschieden dagegen und wollte Hilfe holen …« Der hagere Mann, dessen teigige Gesichtsfarbe von zahllosen durchzechten Nächten am Spieltisch kündete, hielt inne und wischte sich die Schweißperlen von der Stirn. »Aber mit der ihr eigenen Vehemenz gelang es Gertrud, dass wir uns ihrer Entscheidung beugten – was ich im Nachhinein jedoch bitter bereue.«
»Eure Reue kommt ein wenig spät, mein werter Herr Neuhof«, erwiderte Fauerbach höhnisch. »Und sie vermag mich auch nicht so recht zu überzeugen. Bei den vielen Schulden, die Ihr bei Eurem Schwager hattet, konnte es Euch doch nur recht sein, wenn er das Zeitliche segnete.«
Neuhof zuckte zusammen, als habe ihn der Blitz getroffen. Der Kaufmann war Witwer, er hatte seine Ehefrau vor Jahren durch die Pest verloren, und seine Kinder hatten es vorgezogen, den Kontakt zu ihm abzubrechen.
Er stieß hervor: »Wollt Ihr damit etwa sagen, dass ich …« Entsetzt schüttelte er den Kopf.
»Ich will gar nichts sagen«, polterte der Richter und erkannte mit grimmiger Genugtuung, dass er drauf und dran war, den Mann zu knacken. »Ich möchte, dass Ihr es mir sagt!«
Neuhof starrte ihn fassungslos an. »Ich … ich habe meinen Schwager nicht umgebracht!«, krächzte er heiser und geriet nun in Rage. »Es ist überhaupt ein Unding, dass Ihr mich, einen angesehenen Bürger und Senator dieser Stadt, einer solchen Gräueltat bezichtigt!«, schrillte seine Stimme durch die Amtsstube. »Weiß eigentlich der Bürgermeister, was Ihr hier treibt?«
»Noch nicht, ich wollte ihn nicht eigens aufwecken. Aber gleich morgen früh werde ich ihn über alles ins Bild setzen.« Fauerbach grinste. »Er wird gewiss nicht begeistert darüber sein, dass Ihr Euch der unterlassenen Hilfeleistung schuldig gemacht habt. Wenn nicht gar noch weiterer Vergehen …«
»Ich verbitte mir solche Anschuldigungen!«, empörte sich Neuhof.
Der Untersuchungsrichter musterte ihn ungerührt.
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