Die Hurenkönigin von Alezcana - ROTE LATERNE - Band 3 (German Edition)
aber auch noch nicht richtig Tag war, ging Pilar schlafen. Sie hielt die Klinke der Tür zu ihrem Zimmer in der Hand, öffnete und sah wie durch einen Nebel das Messingbett. Es war plötzlich der Inbegriff alles Schlechten für sie. Pilar zog die Tür wieder zu und spuckte auf den Boden. Dann kroch sie zu Evita ins Bett.
"Nimm deine dreckigen Pfoten von mir ...", lallte das Mädchen in seiner Trunkenheit.
"Halt den Schnabel, mein Herz!", gab Pilar zurück und heulte sich dann in einen flachen, von Träumen beunruhigten Schlaf. Ohrenbetäubender Lärm weckte Pilar. Die Dirne richtete sich auf und sah sich um. Grelles Licht drang zwischen den Spalten der Fensterläden herein. Es war heller Tag. Diese schrecklichen Geräusche! Waren sie eine Ausgeburt der Fantasie? Nachwehen der Trunkenheit? Nun rührte sich auch Evita und setzte sich auf. Das Mädchen klammerte sich an die Mutter.
"Hörst du das?", fragte Evita mit einer Stimme, die ungewöhnlich alt klang. Sie kratzte und klang heiser. "Es schlägt jemand unten an die Tür. Mama, wer ist das?"
Evita hatte die Frage kaum ausgesprochen, als im Untergeschoss Holz splitterte. Pilar sprang aus dem Bett. Sie war noch nicht ausgekleidet. Jetzt bemerkte sie, dass sie noch die blutbefleckte Kleidung der vergangenen Nacht am Leibe trug. "Wie siehst du aus?", schrie Evita entsetzt. Da riss Pilar sich das Kleid vom Körper, nahm eine Decke vom Bett und schlang sie um sich. "Versteck das", rief sie ihrer Tochter zu und wies mit dem Kopf auf die blutigen Kleiderfetzen. Dann eilte sie hinaus und lief zur Treppe.
"Wer ist da?", schrie sie hinunter.
"Was ist los?" Pilar sah einige Gauchos, die mit ihren hohen Schaftstiefeln ins Haus getrampelt waren und nun zu ihr heraufblickten. "Seid ihr verrückt geworden?", fragte Pilar und ließ ihre Faust vor der Stirn kreisen. Dann ging sie majestätisch nach unten. Sie war eine Dirne, aber die Gauchos respektierten sie. Hatte Pilar verdrängt, was sich in der letzten Nacht ereignete? Sie schien es nicht zu wissen, aber nur aus diesem Grunde waren die Leute wohl gekommen. Aber weshalb gleich so viele? Ein Gaucho hätte genügt, um ihr zu sagen, dass sie nun gehen musste, weil es den Patron nicht mehr gab. Schweigend zogen die Männer ihre Hüte.
"Was ist geschehen!", fragte Pilar.
"Du hast einen meiner Arbeiter getötet!"
Mit einem schrillen Schrei schnellte die Dirne herum und blickte direkt in die stechenden Augen Don Felipes. Leibhaftig und sehr lebendig stand er neben der alten Uhr, die gerade ihre metallenen Schläge erschallen ließ. Oben an der Brüstung stand Evita. Kalkweiß war das Mädchengesicht. Evita wagte nicht herunter zukommen. Aber sie schien die Worte gehört zu haben, die von den jetzt strichschmal zusammengepressten Lippen des Don Felipe gekommen waren. "Du hast offensichtlich den Falschen erwischt, du dreckige Hure!", schrie Don Felipe.
"Ich ..."
"Du Wanze", brüllte er sie an und winkte den Uniformierten, die nun den Raum betraten. "Nehmt sie fest, und die da oben auch!"
"Nein", schrie Pilar und warf sich dem Mann entgegen. "Du wirst sie nicht mehr anrühren! Nie wieder darfst du es tun!" Ihre Hand griff nach hinten und nahm die fast leere Brand*flasche. Damit holte sie nun aus. Aber einer der Gauchos fing Pilars Schlag ab und drehte ihr den Arm auf den Rücken, bis sie vor Schmerz aufschrie. "Lauf!", brüllte sie hinauf zu Evita. "Lauf weg! So lauf doch!"
Da verschwand Evita. Sie kroch zum Schlafzimmerfenster hinaus, sprang auf den alten Ziegenstall und lief dann zum abgedeckten Brunnen. In diesem Brunnen führte an der Rundung eine steile Wendeltreppe bis hinunter zum Wasserspiegel. Evita hatte das Brett angehoben, kroch hinein und stieg die Treppe hinab, es roch modrig und dumpf, und Evita musste an den Hund denken, der dort im Wasser lag. Würgende Übelkeit kam ihr hoch. Aber die Angst war größer.
Draußen erklang schrilles Geschrei. Pilar schrie und tobte, und der Patron lachte und beschimpfte sie.
"Bringt sie in den Kerker", ordnete er an. Evita kannte das Gefängnis hinter der Kirche. Dort verbüßten die Diebe ihre Strafen, die meist vom Patron bestimmt wurden. Zu den ordentlichen Gerichten war es von hier aus ein weiter Weg.Allmählich wurden die Geräusche leiser, Evita hörte noch die Anordnung des Don Felipe, nach dem Mädchen zu suchen und es auf seine Hacienda zu bringen. Niemals wollte Evita dorthin! Sie musste Pilar helfen. Aber wie sollte sie das tun? Zu allem kam die Angst, sie würden
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