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Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Titel: Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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dumm.)
    Schließlich sah ich mich trotz drastischer Maßnahmen wie Verzicht auf das Farcasten und Entlassung sämtlicher Androidendiener einer finanziellen Katastrophe gegenüber.
    Ich besuchte Tyrena Wingreen-Feif.
     
    »Kein Mensch liest Gedichte«, sagte sie und blätterte den dünnen Stapel Gesänge durch, die ich in den vergangenen anderthalb Jahren geschrieben hatte.
    »Was meinen Sie damit?« sagte ich. »Die sterbende Erde waren Gedichte.«
    »Die sterbende Erde war ein Schwindel«, sagte Tyrena. Ihre Nägel waren lang und grün und nach der neuesten Mandarinmode gekrümmt; sie umklammerten mein Manuskript wie die Klauen eines Chlorophyllungeheuers. »Es hat sich verkauft, weil das Massenunterbewußtsein dafür reif war.«
    »Vielleicht ist das Massenunterbewußtsein auch dafür reif«, sagte ich. Ich wurde langsam wütend.
    Tyrena lachte. Es war kein angenehmer Laut. »Martin, Martin, Martin«, sagte sie. »Das ist Dichtung. Sie schreiben über Heaven's Gate und den Karibuschwarm, aber was rüberkommt, sind Einsamkeit, Entwurzelung, Angst und ein zynischer Blick auf die Menschheit.«
    »Und?«
    »Niemand will auch noch etwas dafür bezahlen, die Ängste eines anderen Menschen zu lesen«, versicherte Tyrena lachend.
    Ich wandte mich von ihrem Schreibtisch ab und ging zur anderen Seite des Büros. Ihr Büro beanspruchte den gesamten vierhundertfünfunddreißigsten Stock des Transline-Turms in der Sektion Babel von Tau Ceti Center. Es gab keine Fenster; der kreisförmige Raum war vom Boden bis zur Decke offen und von einem solarerzeugten Sperrfeld abgeschirmt, das keinerlei Flimmern zeigte. Es war, als stünde man zwischen zwei grauen Platten, die auf halbem Weg zwischen Himmel und Erde schwebten. Ich sah, wie sich scharlachrote Wolken zwischen den niedereren Türmen einen halben Kilometer tiefer dahinzogen, und dachte an Hybris. Tyrenas Büro hatte keine Türen, Treppen, Fahrstühle oder Falltüren: überhaupt keine Verbindung zu den anderen Stockwerken. Man betrat Tyrenas Büro durch einen Farcaster mit fünf Facetten, der im Raum schimmerte wie eine abstrakte Holoskulptur. Ich mußte nicht nur an Hybris denken, sondern auch an Großbrände und Energieausfall. Ich sagte: »Wollen Sie damit sagen, daß Sie es nicht veröffentlichen werden?«
    »Im Gegenteil«, sagte meine Lektorin lächelnd. »Sie haben Transline mehrere Milliarden Mark eingebracht, Martin. Wir werden es veröffentlichen. Ich sage nur, daß es niemand kaufen wird.«
    »Sie irren sich!« rief ich. »Nicht alle erkennen gute Dichtung, aber es gibt dennoch genügend Leute, die sie lesen, damit sie zum Bestseller wird.«
    Tyrena lachte nicht noch einmal, verzog aber die grünen Lippen zu einem Lächeln. »Martin, Martin, Martin«, sagte sie, »seit den Tagen Gutenbergs ist die Zahl der lesenden Bevölkerung kontinuierlich gesunken. Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts lasen weniger als zwei Prozent der Bewohner sogenannter Industrienationen auch nur ein Buch pro Jahr. Und das war noch vor den schlauen Maschinen, Datensphären und benützerfreundlichen Environments. Zur Zeit der Hegira hatten achtundneunzig Prozent der Bevölkerung der Hegemonie überhaupt keinen Grund, etwas zu lesen. Also machten sie sich gar nicht erst die Mühe, es zu lernen. Heute ist es noch weitaus schlimmer. Im Weltennetz leben mehr als einhundert Milliarden Menschen, und weniger als ein Prozent macht sich die Mühe, gedrucktes Material zu hardfaxen, geschweige denn ein Buch zu lesen.«
    »Die sterbende Erde ist mit fast drei Milliarden Exemplaren verbreitet«, erinnerte ich sie.
    »Mm-hmm«, sagte Tyrena. »Das war der Pilgrim's Progress-Effekt.«
    »Der was?«
    »Pilgrim's Progress-Effekt. In der Kolonie Massachusetts der ... wann war das? – Alten Erde im siebzehnten Jahrhundert mußte jede anständige Familie ein Exemplar davon im Haus haben. Aber, heiliger Himmel, niemand hat es gelesen! Genau so war es mit Hitlers Mein Kampf oder Stukatskys Visionen im Auge eines geköpften Kindes.«
    »Wer war Hitler?« sagte ich.
    Tyrena lächelte verhalten. »Ein Politiker der Alten Erde, der auch geschrieben hat. Mein Kampf ist immer noch lieferbar ... Transline erneuert das Copyright alle hundertachtunddreißig Jahre.«
    »Hören Sie«, sagte ich, »ich nehme mir ein paar Wochen Zeit und poliere die Gesänge auf und mache das Beste daraus.«
    »Prima«, erwiderte Tyrena lächelnd.
    »Ich nehme an, Sie wollen es wie beim letzten Mal bearbeiten?«
    »Überhaupt nicht«, sagte

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