Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion
bald mit Band X der Chronik der sterbenden Erde anfangen mußte.
Es ist nicht schwer, ein Schundschreiber zu sein. Zwischen Die sterbende Erde II und Die sterbende Erde IX waren sechs Standardjahre vergleichsweise schmerzfrei vergangen. Meine Recherchen waren spärlich, die Handlungen schablonenhaft, die Figuren Pappcharaktere, der Stil niveaulos und meine Freizeit gehörte mir. Ich reiste. Ich heiratete zweimal; jede Frau verließ mich ohne Mißstimmungen, aber mit einem substantiellen Teil meiner Tantiemen des nächsten Sterbende Erde-Buchs. Ich probierte Religionen und das Trinken aus und fand mehr Hoffnung auf dauerhaften Trost bei Letzterem.
Ich behielt mein Haus, fügte sechs weitere Zimmer auf fünf Welten hinzu und füllte sie mit Kunstgegenständen. Ich gab Feste. In meinem Bekanntenkreis befanden sich auch Schriftsteller, aber wir neigten wie zu allen Zeiten dazu, einander zu mißtrauen und schlecht übereinander zu reden und insgeheim den anderen um seinen Erfolg zu beneiden und Makel in seinem Werk zu finden. Jeder von uns wußte im Grunde des Herzens, daß er oder sie selbst ein großer Künstler des Wortes war, der eben zufällig kommerziellen Erfolg hatte; die anderen waren Schmierfinken.
Eines kühlen Morgens, als mein Schlafzimmer sich sacht in den oberen Zweigen meines Baumes auf der Welt der Tempelritter wiegte, wachte ich unter dem grauen Himmel auf und stellte fest, daß meine Muse mich verlassen hatte.
Es war fünf Jahre her, seit ich zum letzten Mal Gedichte geschrieben hatte. Die Gesänge lagen offen im Turm auf Deneb Drei, und außer den veröffentlichten waren nur wenige neue Seiten fertiggestellt. Ich hatte Gedankenprozessoren benützt, um meine Romane zu schreiben, und einer wurde aktiv, als ich das Arbeitszimmer betrat. SCHEISSE, druckte er aus, WAS HABE ICH MIT MEINER MUSE GEMACHT?
Es sagt einiges über die Bücher aus, die ich geschrieben habe, daß meine Muse verschwinden konnte und ich es überhaupt nicht bemerkte. Für diejenigen, die nie geschrieben haben und nie von einem kreativen Drang erfüllt gewesen sind, scheint das Gerede von einer Muse bildlich gesprochen zu sein, eine Täuschung, aber für uns, die wir vom Wort leben, sind unsere Musen so real und notwendig wie der weiche Ton der Sprache, den zu formen sie uns helfen. Wenn man schreibt – wirklich schreibt –, ist es, als hätte man eine Fatline zu den Göttern. Kein wahrer Dichter hat je das Hochgefühl erklären können, das man empfindet, wenn der Verstand zu einem Instrument wird wie die Feder oder der Gedankenprozessor und die Offenbarungen ausdrückt, die ihm von anderswo zufliegen.
Meine Muse war fort. Ich suchte sie in den anderen Welten meines Hauses, aber nur Stille hallte mir von den Wänden mit ihren Gemälden und den leeren Räumen entgegen. Ich farcastete und flog zu meinen Lieblingsplätzen, betrachtete den Sonnenuntergang auf den windigen Prärien von Gras und den nächtlichen Nebel, der die ebenholzfarbenen Klüfte von Nevermore verhüllte, aber obwohl ich den Schund der endlosen Sterbende Erde-Romane aus meinem Denken verdrängte, hörte ich nicht einmal ein Flüstern von meiner Muse.
Ich suchte sie mit Alkohol und Flashback, kehrte zu den produktiven Tagen auf Heaven's Gate zurück, wo ihre Inspiration ein konstantes Summen in meinen Ohren gewesen war, meine Arbeit unterbrochen, mich aus dem Schlaf gerissen hatte, aber in den nochmals durchlebten Stunden und Tagen war ihre Stimme so gedämpft und unverständlich wie eine kaputte Schallplatte eines vergessenen Jahrhunderts.
Meine Muse war fort.
Ich farcastete im präzisen Augenblick meiner Verabredung in Tyrena Wingreen-Feifs Büro. Tyrena war von Cheflektorin der Hardfaxabteilung zur Verlegerin befördert worden. Ihr neues Büro befand sich im obersten Stock des Transline-Turms auf Tau Ceti Center, und wenn man dort stand, kam man sich vor, als befände man sich auf dem mit Teppichboden ausgelegten Gipfel des höchsten Berges der Galaxis; nur die unsichtbare Kuppel des leicht polarisierten Sperrfeldes wölbte sich über einem, und der Teppichboden hörte an einem Abgrund von sechs Kilometern Tiefe auf. Ich fragte mich, ob auch andere Autoren manchmal den Wunsch verspürten, da hinunterzuspringen.
»Das neue Opus?« sagte Tyrena. Lusus dominierte diese Modewoche, und ›dominieren‹ war genau das richtige Wort; meine Lektorin trug Leder und Eisen, rostige Dornenarmbänder an den Handgelenken und um den Hals und einen breiten
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