Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion
stammte. Der Schrei erschütterte mich derart, daß ich auf die Knie sank, er hallte von jeder Oberfläche in der Stadt wider und jagte die Tauben scharenweise himmelwärts. Der Schrei dauerte noch Minuten an, nachdem die flammende Erscheinung einfach aufgehört hatte zu sein und weder Asche noch ein Glühen auf der Netzhaut hinterlassen hatte. Ich brauchte noch eine ganze Zeit, bis ich merkte, daß der Schrei, den ich jetzt hörte, mein eigener war.
Antiklimax ist selbstverständlich der Lauf der Dinge.
Das wirkliche Leben konstruiert selten eine anständige Auflösung.
Ich brauchte mehrere Monate, vielleicht ein Jahr, um die petroleumgetränkten Seiten der Gesänge nochmals abzuschreiben und die verbrannten Seiten der Cantos neu zu verfassen. Es wird niemanden überraschen, daß ich das Gedicht nicht zu Ende geschrieben habe. Es war nicht meine Entscheidung. Meine Muse war geflohen.
Die Stadt der Dichter verfiel in Frieden. Ich blieb noch ein Jahr oder zwei – vielleicht auch fünf, ich weiß es nicht; da war ich ziemlich in den Krallen des Wahnsinns. Bis auf den heutigen Tag berichten die Aufzeichnungen früher Pilger zum Shrike von einer hageren, haarigen Gestalt in Lumpen und mit vorquellenden Augen, die sie aus ihrem Gethsemaneschlaf weckte, indem sie Obszönitäten schrie und den stummen Zeitgräbern mit den Fäusten drohte und den Feigling darin aufforderte, sich zu zeigen.
Schließlich brannte der Wahnsinn aus – obwohl die Schlacke immer glühen wird –, und ich legte die fünfzehnhundert Kilometer zur Zivilisation zurück; im Rucksack hatte ich nur das Manuskript und ernährte mich von Felsaalen und Schnee, und die letzten zehn Tage von gar nichts mehr. Die zweieinhalb Jahrhunderte, die seither vergangen sind, sind nicht der Rede wert, geschweige denn, sie noch einmal zu durchleben. Poulsenbehandlungen, damit das Instrument bereit blieb. Zwei lange, kalte Schlafperioden bei illegalen kryonischen Unterlichtflügen; jede schluckte ein Jahrhundert oder mehr, jede forderte ihren Preis an Gehirnzellen und Erinnerungen.
Ich wartete damals. Ich warte heute noch. Das Gedicht muß vollendet werden. Es wird vollendet werden.
Am Anfang war das Wort.
Am Ende ... jenseits von Ehre, jenseits des Lebens, jenseits des Kümmerns ...
Am Ende wird das Wort sein.
VIERTER TEIL
Die Benares erreichte Edge kurz nach Mittag des nächsten Tages. Einer der Mantas war nur zwanzig Kilometer flußabwärts von ihrem Ziel in seinem Zaumzeug gestorben, A. Bettik hatte ihn losgeschnitten. Der andere hatte durchgehalten, bis sie an dem ausgebleichten Pier angelegt hatten, dann hatte er sich in völliger Erschöpfung umgedreht; Bläschen stiegen aus seinen doppelten Luftlöchern auf. Bettik hatte befohlen, auch diesen Manta loszuschneiden, und erklärt, daß er eine geringe Überlebenschance hätte, wenn er sich in den schnelleren Strömungen treiben lassen konnte.
Die Pilger waren wach gewesen und hatten bis vor Sonnenaufgang die vorbeiziehende Landschaft betrachtet. Sie sprachen wenig, keiner hatte etwas zu Martin Silenus sagen können. Dem Dichter schien das nichts auszumachen. Er trank Wein zum Frühstück und sang zotige Lieder, als die Sonne aufging.
In der Nacht war der Fluß breiter geworden, am Morgen war er eine zwei Kilometer breite blaugraue Straße, die durch die flachen grünen Hügel südlich des Grasmeers schnitt. So nahe am Meer gab es keine Bäume, die Braun-, Gold- und Heidekrautfarbtöne des Buschwerks der Mähne waren allmählich dem strahlenden Grün der hohen nördlichen Gräser gewichen. Die Hügel hatten sich den ganzen Vormittag über näher gedrängt, bis sie nur noch aus zwei Streifen grasbewachsener Klippen rechts und links vom Fluß bestanden. Im Nordosten hing ein fast unsichtbarer dunkler Schatten über dem Horizont, und die Pilger, die auf Wasserwelten gelebt hatten und wußten, daß es sich um Vorboten des nahen Meeres handelte, mußten sich daran erinnern, daß das einzige Meer in der Nähe aus mehreren Milliarden Hektar Gras bestand.
Edge war nie ein großer Vorposten gewesen, aber nun war es völlig verlassen. Die wenigen Gebäude entlang der gestampften Straße vom Dock hatten das leere Aussehen aller verlassenen Häuser, und am Ufer waren Spuren zu erkennen, denen zufolge die Bevölkerung schon vor Wochen geflohen war. Das Pilgrim's Rest, ein dreihundert Jahre altes Gasthaus gleich unter der Hügelkuppe, war niedergebrannt worden.
A. Bettik begleitete sie zum Gipfel der
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