Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion
fortgeschritten, als Rachel anrief. Es war eine recht einseitige Nachricht via Farcasterkabel von Freeholm, und ihr Ebenbild schwebte mitten in der alten Holonische wie ein vertrauter Geist.
»Hi, Mom. Hi, Dad. Tut mir leid, daß ich in den vergangenen Wochen nicht geschrieben oder angerufen habe. Ihr wißt sicher, daß ich die Universität verlassen habe. Und Melio. Der Versuch, neue Vorlesungen zu besuchen, war einfach dumm. Ich hatte dienstags vergessen, worüber wir montags gesprochen hatten. Selbst mit Disks und Komlogsteckern war es ein aussichtsloser Kampf. Ich schreibe mich vielleicht wieder ins Vorsemester ein ... da kann ich mich an alles erinnern! War nur ein Witz.
Auch mit Melio war es einfach zu schwer. Sagen mir jedenfalls meine Notizen. Es war nicht seine Schuld, da bin ich ganz sicher. Er war sanft und geduldig und liebevoll bis zum Ende. Es ist nur ... nun, man kann eine Beziehung nicht jeden Tag ganz von vorne beginnen. Unsere Wohnung war voll von Fotos von uns, Notizen, die ich selbst über uns geschrieben hatte, Holos von uns auf Hyperion, aber ... ihr wißt schon. Morgens war er ein vollkommen Fremder für mich. Am Nachmittag glaubte ich, daß wir ein Verhältnis gehabt hätten, auch wenn ich mich nicht erinnern konnte. Abends weinte ich in seinen Armen ... und dann mußte ich früher oder später ins Bett. So ist es besser.«
Rachels Ebenbild machte eine Pause, wandte sich ab, als wollte sie den Kontakt unterbrechen, stabilisierte sich dann aber wieder. Sie lächelte. »Wie dem auch sei, ich habe die Schule eine Zeitlang verlassen. Das Med Center auf Freeholm will mich die ganze Zeit haben, aber sie müssen sich hinten anstellen ... Ich habe ein Angebot vom Forschungsinstitut auf Tau Ceti bekommen, das schwer abzulehnen ist. Sie bieten ein ... ich glaube, sie nennen es ›Forschungshonorar‹. Es ist mehr, als wir für vier Jahre Nightenhelser und die ganze Ausbildung an der Reich zusammen bezahlt haben.
Ich habe abgelehnt. Ich gehe immer noch ambulant hin, aber nach den RNS-Transplantreihen habe ich nur Blutergüsse und bin deprimiert. Ich bin natürlich nur deprimiert, weil ich mich morgens nicht mehr erinnern kann, woher die Blutergüsse stammen. Ha-ha.
Wie dem auch sei, ich werde eine Zeitlang bei Tanya bleiben, und dann ... ich habe mir gedacht, dann komme ich vielleicht eine Weile nach Hause. Im Zweitmonat habe ich Geburtstag ... ich werde wieder zweiundzwanzig. Unheimlich, hm? Jedenfalls ist es viel leichter, unter Bekannten zu sein, und ich weiß, ich habe Tanya kennengelernt, als ich mit zweiundzwanzig hierher gekommen bin ... ich glaube, ihr versteht schon.
Also ... ist mein altes Zimmer noch da, Mom, oder hast du es in einen Mah-Jongg-Salon verwandelt, wie du immer gesagt hast? Schreibt oder ruft mich an! Nächstes Mal gebe ich das Geld für Zweiweg aus, damit wir wirklich reden können. Ich wollte nur ... ich habe mir gedacht ...«
Rachel winkte. »Muß gehen. See you later, alligators. Ich habe euch beide sehr lieb.«
Sol flog in der Woche vor Rachels Geburtstag nach Bussard City und holte sie vom einzigen öffentlichen Farcasterterminex des Planeten ab. Er sah sie zuerst – sie stand mit ihrem Gepäck neben der Blumenuhr. Sie sah jung aus, aber nicht nennenswert jünger als beim Abschied auf Renaissance Vector. Nein, dachte Sol, ihre Haltung war nicht mehr so selbstbewußt. Er schüttelte den Kopf, um solche Gedanken loszuwerden, rief ihren Namen und lief ihr entgegen, um sie zu umarmen.
Als er sie wieder freigab, war ihr betroffener Gesichtsausdruck so deutlich, daß er ihn nicht ignorieren konnte. »Was ist denn, Süße? Was hast du?«
Es war eine der wenigen Gelegenheiten, da er seine Tochter völlig ohne Worte gesehen hatte.
»Ich ... du ... ich habe vergessen«, stammelte sie. Sie schüttelte den Kopf auf bekannte Weise und schaffte es, gleichzeitig zu lachen und zu weinen. »Du siehst anders aus, Daddy, das ist alles. Ich erinnere mich an den Aufbruch von hier ... buchstäblich ... als wäre es gestern gewesen. Als ich dich gesehen habe ... dein Haar ...« Rachel legte eine Hand vor den Mund.
Sol strich sich über die Kopfhaut. »Ah, ja«, sagte er, und plötzlich war ihm selbst nach Lachen und Weinen zumute. »Mit deiner Schule und den Reisen ist es über elf Jahre her. Ich bin alt. Und kahl.« Er breitete wieder die Arme aus. »Willkommen daheim, Kleines.«
Rachel trat in den schützenden Kreis seiner Arme.
Einige Monate ging alles gut. Rachel fühlte
Weitere Kostenlose Bücher