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Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Titel: Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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seltsam an. »Unsere beiden Namen. Wenn du nicht bei mir gewesen wärst ... in dem Traum bei mir ... hätte ich es nie die ganzen Jahre ertragen können.«
    Sol sank auf den Stuhl. Er betrachtete die seltsame Hand und den Unterarm, die auf dem Tisch lagen. Die Knöchel der Hand schwollen wegen Arthritis an; der Unterarm wies dicke Adern auf, und Leberflecke. Es war natürlich seine Hand. Er hörte sich sagen: »Du hast es nie erwähnt. Nie ein Wort gesagt ...«
    Diesesmal war Sarais Lachen ohne Erbitterung. »Als wäre das nötig gewesen! Wie oft sind wir beide in der Dunkelheit aufgewacht. Du schweißgebadet. Ich wußte von Anfang an, daß es nicht bloß ein Traum war. Wir müssen gehen, Vater. Nach Hyperion.«
    Sol bewegte die Hand. Sie schien immer noch kein Teil von ihm zu sein. »Warum? Um Himmels willen, warum, Sarai? Wir können ... wir können Rachel nicht opfern ...?«
    »Natürlich nicht, Vater. Hast du nicht darüber nachgedacht? Wir müssen nach Hyperion ... dorthin, wohin der Traum befiehlt ... und uns statt dessen opfern.«
    »Uns opfern«, wiederholte Sol. Er fragte sich, ob er einen Herzanfall hatte. Seine Brust tat so schrecklich weh, daß er keine Luft bekam. Er saß eine ganze Minute lang stumm da und war überzeugt, wenn er versuchen würde zu sprechen, würde er nur ein Schluchzen herausbringen. Nach einer weiteren Minute sagte er: »Wie lange hast du ... darüber nachgedacht, Mutter?«
    »Meinst du gewußt, was wir tun müssen? Ein Jahr. Etwas mehr. Seit ihrem fünften Geburtstag.«
    »Ein Jahr! Warum hast du nichts gesagt?«
    »Ich habe darauf gewartet, daß du es einsiehst. Daß du es weißt.«
    Sol schüttelte den Kopf. Das Zimmer schien zu weit entfernt und leicht schief. »Nein. Ich meine, es scheint nicht ... Ich muß nachdenken, Mutter.« Sol sah zu, wie die fremde Hand Sarais vertraute Hand tätschelte.
    Sie nickte.
     
    Sol verbrachte drei Tage und drei Nächte in den kargen Bergen, aß nur das kroß gebackene Brot, das er mitgebracht hatte, und trank aus der Thermoskanne.
    In den vergangenen zwanzig Jahren hatte er sich zehntausendmal gewünscht, er könnte Rachels Krankheit auf sich nehmen; wenn jemand leiden mußte, sollte es der Vater sein, nicht das Kind. Alle Eltern hätten so empfunden – empfanden so, wenn das Kind verletzt oder mit Fieber im Bett lag. Aber sicher konnte es nicht so einfach sein.
    In der Hitze des dritten Nachmittags, als er halb dösend im Schatten eines dünnen Felsüberhangs lag, erfuhr Sol, daß es nicht so einfach war.
     
    – Kann das Abrahams Antwort an Gott gewesen sein? Daß er daß Opfer sein würde, nicht Isaak?
    – Die von Abraham hätte es sein können. Deine kann es nicht sein.
    – Warum nicht?
     
    Wie als Antwort hatte Sol eine Fiebervision nackter Erwachsener, die an bewaffneten Männern vorbei zu den Öfen schritten, von Müttern, die ihre Kinder unter Mantelstapeln versteckten. Er sah Männer und Frauen, deren Haut in verbrannten Fetzen herabhing, die bewußtlose Kinder aus der Asche trugen, die einmal eine Stadt gewesen war. Sol wußte, diese Bilder waren keine Träume, sondern Szenen aus dem Ersten und Zweiten Holocaust, und als er das begriffen hatte, wußte er, noch ehe die Stimme in seinen Gedanken weitersprach, wie die Antwort ausfallen würde. Ausfallen mußte.
     
    – Die Eltern haben sich selbst dargeboten. Das Opfer ist schon akzeptiert worden. Das haben wir hinter uns.
    – Was dann? Was!
     
    Schweigen antwortete ihm. Sol stellte sich in die grelle Sonne und kippte fast um. Ein schwarzer Vogel kreiste über ihm oder in seiner Vision. Sol schüttelte die Faust zum grauen Himmel hinauf.
     
    – Du benutzt Nazis als deine Instrumente? Wahnsinnige? Ungeheuer! Du bist selbst ein Ungeheuer!
    – Nein.
     
    Die Erde neigte sich, und Sol fiel auf den scharfen Felsen auf die Seite. Er dachte sich, daß es kaum anders war, als würde er sich gegen eine rauhe Wand lehnen. Ein Stein so groß wie seine Faust verbrannte ihm die Wange.
     
    – Für Abraham war die richtige Antwort Gehorsam, dachte Sol. Ethisch gesehen war Abraham selbst ein Kind. Das waren alle Menschen damals. Die richtige Antwort für Abrahams Kinder war, zu Erwachsenen zu werden und sich selbst statt dessen darzubieten. Was ist die richtige Antwort für uns?
     
    Es gab keine Antwort. Boden und Himmel hörten auf, sich zu drehen. Nach einer Weile stand Sol benommen auf, wischte sich Blut und Staub von der Wange und ging hinab in die Stadt unten im Tal.
     
    »Nein«,

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