Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion
sagte Singh. »Sie verbringen Ihre drei Wochen am Grund. Die Experten des Botschafters sagen, daß Sie der Hegemonie da unten mehr nützen als hier oben. Wir werden sehen.«
Die Welt wartete. Die Menge jubelte. Siri winkte. Wir verließen den Hafen auf einem gelben Katamaran und segelten süd-südöstlich Richtung des Archipels und ihrer Familieninsel.
»Hallo, Merin.« Siri schwebt in der Dunkelheit ihrer Gruft. Das Holo ist nicht perfekt – die Kanten sind verschwommen. Aber es ist Siri – Siri, wie ich sie zuletzt gesehen habe, das kurze Haar mehr geschoren als geschnitten, Kopf hoch erhoben, Gesicht von Schatten gezeichnet. »Hallo, Merin, Liebster.«
»Hallo, Siri«, sage ich. Die Tür der Gruft ist geschlossen.
»Es tut mir leid, daß ich nicht bei unserem Siebten Wiedersehen dabei sein kann. Ich hatte mich so darauf gefreut.« Siri verstummt und betrachtet ihre Hände. Das Bild wabert ein wenig, als Staubkörnchen durch ihre Gestalt schweben. »Ich hatte sorgfältig geplant, was ich hier sagen wollte«, fährt sie fort, »und wie ich es sage. Ich wollte Gefälligkeiten erbitten. Anweisungen geben. Aber jetzt weiß ich, wie nutzlos das gewesen wäre. Entweder habe ich es bereits gesagt, und du hast es verstanden, oder es gibt nichts mehr zu sagen und Schweigen wäre dem Augenblick am angemessensten.«
Siris Stimme ist im Alter noch angenehmer geworden. Sie enthält eine Reife und Ruhe, die man nur erlangen kann, wenn man Schmerz erfahren hat. Siri bewegt die Hände, sie verschwinden außerhalb der Grenzen der Projektion. »Merin, Liebster, wie seltsam sind unsere Tage zusammen und voneinander getrennt gewesen. Wie wunderbar absurd der Mythos, der uns verbunden hat. Meine Tage waren nur Herzschläge für dich. Dafür habe ich dich gehaßt. Du warst der Spiegel, der nicht lügt. Wenn du dein Gesicht am Anfang eines jeden Wiedersehens hättest sehen können! Du hättest wenigstens deine Betroffenheit verbergen können ... das wenigstens hättest du für mich tun können.
Aber hinter deiner linkischen Naivität war immer ... was? ... etwas, Merin. Du hast etwas, das deine Unreife und deinen achtlosen Egoismus Lügen straft, die du so gut zur Schau stellst. Fürsorge vielleicht. Oder zumindest Respekt vor der Fürsorge.
Merin, dieses Tagebuch enthält Hunderte von Einträgen ... Tausende, fürchte ich ... ich führe es, seit ich dreizehn war. Wenn du es zu Gesicht bekommst, werden sie alle gelöscht sein, bis auf die nachfolgenden. Adieu, Geliebter. Adieu.«
Ich schalte das Komlog aus und sitze einen Augenblick stumm da. Die Menge ist durch die dicken Mauern der Gruft kaum zu hören. Ich hole Luft und drücke auf den Diskey.
Siri erscheint. Sie ist Ende vierzig. Ich erkenne auf der Stelle Ort und Zeit, wo sie diese Aufnahme gemacht hat. Ich erinnere mich an den Mantel, den sie trägt, den Aalsteinschmuck um ihren Hals, die Strähne, die unter dem Barett hervorquillt und ihr über die Wange fällt. Ich kann mich an alles an diesem Tag erinnern. Es war der letzte Tag unseres Dritten Wiedersehens und wir waren mit Freunden auf den Anhöhen über Süd-Tern. Donel war zehn und wir versuchten ihn zu überreden, mit uns auf dem verschneiten Hang Schlitten zu fahren. Er weinte. Siri wandte sich von uns ab, noch ehe der Gleiter richtig gelandet war. Als Magritte ausstieg, sahen wir Siris Gesicht an, daß etwas passiert war.
Dasselbe Gesicht sieht mich jetzt an. Sie streicht abwesend die störrische Strähne zurück. Ihre Augen sind rot, aber ihre Stimme ist beherrscht. »Merin, heute haben sie unseren Sohn getötet. Alón war einundzwanzig, und sie haben ihn getötet. Du warst heute so verwirrt, Merin. ›Wie konnte so ein Fehler nur passieren?‹ hast du immerzu wiederholt. Du hast unseren Sohn eigentlich gar nicht gekannt, aber ich sah deinem Gesicht den Schmerz des Verlustes an, als wir es erfuhren. Merin, es war kein Unfall. Wenn nichts überlebt, keine anderen Aufzeichnungen, wenn du nie verstehen wirst, warum ich zugelassen habe, daß ein sentimentaler Mythos mein Leben beherrscht, wisse dies – es war kein Unfall, der Alón das Leben gekostet hat. Er war bei den Separatisten, als die Ratspolizei eintraf. Selbst da hätte er noch entkommen können. Wir hatten gemeinsam ein Alibi vorbereitet. Die Polizei hätte seine Geschichte geglaubt. Aber er beschloß zu bleiben.
Heute, Merin, hat dich beeindruckt, was ich zu der Menge gesagt habe ... zu dem Mob ... der die Botschaft stürmen wollte. Wisse,
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