Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion
weit entfernt, aber konstant, wie das Geräusch der Gischt eine halbe Meile vom Ufer entfernt –, und ich hatte mich bemüht, das während des hastigen Laufs zum Landungsboot, dem Anschnallen und Abdecken und dem zehnminütigen cislunaren Flug zu den Ausläufern der Atmosphäre von Hyperion zu verstehen.
FORCE brüstete sich damit, daß sie ihre eigenen Künstlichen Intelligenzen sowie ihre eigenen Datensphären und Computereinrichtungen benützten. Der vorgebliche Grund dafür war die Erfordernis, in den unendlichen Weiten zwischen Netzwelten zu operieren, den dunklen und stillen Räumen zwischen den Sternen und außerhalb der Megasphäre des Netzes, aber der wahre Grund bestand überwiegend darin, daß FORCE seit Jahrhunderten ein geradezu besessenes Bestreben an den Tag legte, vom TechnoCore unabhängig zu bleiben. Und doch konnte ich an Bord eines FORCE-Schiffs inmitten einer FORCE-Armada in einem System, das weder zum Netz gehörte noch Protektorat war, dasselbe beruhigende Hintergrundmurmeln von Daten und Energie empfangen wie überall sonst im Netz. Interessant.
Ich dachte an die Verbindungen, die der Farcaster dem Hyperion-System gebracht hatte: nicht nur die Haltesphäre für SprungSchiffe und Farcaster, die wie ein glänzender neuer Mond am L3-Punkt von Hyperion schwebte, sondern auch Meilen von Gigakanal-Fiberoptikkabeln, die sich durch permanente SprungSchiff-Farcasterportale schlängelten, Mikrowellenrepetitoren, die mechanisch wenige Zentimeter große Klappen schlossen, um ihre Botschaften fast in Echtzeit zu wiederholen, zahmen KIs auf Kommandoschiffen, die neue Verbindungen zum Olympus Mons-Oberkommando auf dem Mars und anderswo verlangten und bekamen. Irgendwie hatte sich die Datensphäre hineingeschlichen, was den Maschinen und ihren Bedienern von und den Verbündeten von FORCE möglicherweise überhaupt nicht bekannt war. Die KIs im Core wußten alles, was sich hier auf Hyperion abspielte. Sollte mein Körper jetzt sterben, würde mir derselbe Fluchtweg wie immer offenstehen – ich konnte die pulsierenden Verbindungswege entlang fliehen, welche wie geheime Durchgänge jenseits des Netzes führten, jenseits der fernsten Weiten der Dateiebene, wie die Menschheit sie je gekannt hatte, und durch Datenverbindungstunnel zum TechnoCore selbst. Eigentlich nicht zum Core, dachte ich, denn der Core umringt, umhüllt den Rest wie ein Ozean unterschiedliche Strömungen, gewaltige Golfströme, die sich selbst als unabhängige Meere betrachten.
»Ich wünschte, es gäbe ein Fenster«, sagte Leigh Hunt.
»Ja«, sagte ich. »Ich auch.«
Das Landungsboot ruckte und schwankte, als wir in die obersten Schichten der Atmosphäre von Hyperion eindrangen. Hyperion, dachte ich. Das Shrike. Das dicke Hemd und meine Weste schienen feucht und klebrig zu sein. Ein leises Säuseln von draußen verriet, daß wir flogen, mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit durch den lapislazulifarbenen Himmel rasten.
Der junge Leutnant beugte sich über den Mittelgang. »Zum ersten Mal unten, die Herren?«
Hunt nickte.
Der Leutnant kaute Gummi, um zu zeigen, wie entspannt er war. »Sind Sie zwei Ziviltechniker von der Hebrides?«
»Von dort kommen wir gerade, ja«, sagte Hunt.
»Dachte ich mir«, meinte der Leutnant grinsend. »Ich bringe eine Kuriersendung zum Stützpunkt der Marines bei Keats. Mein fünfter Ausflug.«
Ich zuckte zusammen, als mir der Name der Hauptstadt ins Gedächtnis gerufen wurde; Hyperion war vom Traurigen König Billy und seiner Gruppe von Dichtern, Künstlern und anderen Taugenichtsen neu besiedelt worden, die vor einer Invasion ihrer Heimatwelt durch Horace Glennon-Height geflohen waren – eine Invasion, die nie erfolgte. Der Dichter, der an der momentanen Pilgerfahrt teilnahm, Martin Silenus, hatte den Traurigen König Billy vor mehr als zweihundert Jahren bei der Namensgebung der Hauptstadt beraten. Keats. Die Einheimischen nannten die Altstadt Jacktown.
»Sie werden ihren Augen nicht trauen, wenn Sie diesen Ort sehen«, sagte der Lieutenant. »Er ist das wahrhaftige Analende des Nichts. Ich meine, keine Daten-Sphäre, keine EMVs, keine Farcaster, keine Stimsim-Bars, gar nichts. Kein Wunder, daß sich die Scheißeingeborenen zu Tausenden um den Raumhafen drängen und den Zaun einreißen, damit sie fortkommen.«
»Greifen sie wirklich den Raumhafen an?« fragte Hunt.
»Ach wo«, sagte der Leutnant und ließ seinen Kaugummi platzen. »Aber sie sind dazu bereit, wenn Sie verstehen, was ich meine. Darum
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