Die Hyperion-Gesänge
Unterricht einschränken und schließlich in den vorzeitigen Ruhestand gehen musste, weil er Reisen unternahm und medizinische Hilfe für Rachel suchte, wurde der Grund von niemandem erwähnt.
Aber das konnte selbstverständlich nicht von Dauer sein, und als Sol eines Frühlingstages auf die Veranda kam und seine siebenjährige Tochter weinend aus dem Park kommen sah, von einer Meute Reportern umringt, deren Kameraimplantate glänzten und die ihre Komlogs gezückt hatten, da wusste er, dass eine Phase ihres Lebens für immer vorbei war. Sol sprang von der Veranda und lief an Rachels Seite.
»M. Weintraub, stimmt es, dass sich Ihre Tochter eine tödliche Zeitkrankheit zugezogen hat? Was wird in sieben Jahren passieren? Wird sie einfach verschwinden?«
»M. Weintraub! M. Weintraub! Rachel sagt, sie ist der Meinung, Raben Dowell wäre Senatspräsident und dies das Jahr 2711 n. Chr. Hat sie vierunddreißig Jahre völlig verloren, oder ist das eine Täuschung, die durch Merlins Krankheit bedingt ist?«
»Rachel! Kannst du dich daran erinnern, dass du eine erwachsene Frau warst? Wie ist es, wieder Kind zu sein?«
»M. Weintraub! M. Weintraub! Bitte nur ein Standfoto! Wie wäre es, wenn Sie ein Foto von Rachel als Erwachsener holen und Sie und das Kind es betrachteten?«
»M. Weintraub! Stimmt es, dass dies der Fluch der Zeitgräber ist? Hat Rachel das Ungeheuer Shrike gesehen?«
»Hey, Weintraub! Sol! Hey, Solly! Was werden Sie und Ihre Frau machen, wenn das Kind nicht mehr ist?«
Ein Reporter versperrte Sol den Weg zur Eingangstür. Der Mann beugte sich nach vorne, die Stereolinsen seiner Augen wurden für eine Großaufnahme von Rachel ausgefahren. Sol packte das lange Haar des Mannes – das er bequemerweise zu einem Pferdeschwanz geflochten hatte – und schleuderte ihn beiseite.
Die Meute johlte und grölte sieben Wochen vor dem Haus. Sol wurde wieder klar, was er über seine kleine Gemeinde gewusst, aber vergessen gehabt hatte: Sie waren manchmal nervtötend, stets engstirnig, manchmal auf persönlicher Ebene neugierig, aber sie hatten sich nie an das teuflische Erbe des sogenannten »Rechts der Öffentlichkeit auf Information« gehalten.
Das Netz dagegen schon. Anstatt seine Familie und sich selbst zu permanenten Gefangenen der belagernden Reporter zu machen, ging Sol in die Offensive. Er vereinbarte Interviews in den meistgesehenen Farcasterkabelnachrichten, nahm an Diskussionen des All-Wesens teil und besuchte persönlich das Medizinische Forschungskonklave des Concourse. In zehn Standardmonaten bat er auf achtzig Welten um Hilfe für seine Tochter.
Angebote von zehntausend Quellen gingen ein, aber der Löwenanteil kam von Geistheilern, Werbestrategen, Instituten und freiberuflichen Forschern, die ihre Dienste als Gegenleistung für die Publicity anboten. Anhänger des Shrike-Kults und religiöse Fanatiker äußerten ihre Meinung, dass Rachel ihre Strafe verdient hätte, verschiedene Werbeagenturen baten
um Produktwerbung, Medienagenten boten sich an, Rachel für derartige Werbung zu »vertreten«, gewöhnliche Menschen sandten Ausdrücke ihres Mitgefühls – ab und zu mit Kreditchips –, Wissenschaftler drückten ihre Zweifel aus, Holieproduzenten und Verlage wollten die Exklusivrechte an Rachels Leben, und ganze Bataillone von Grundstücksmaklern sandten Angebote.
Die Reichs-Universität bezahlte ein Team Sortierer, das die Angebote durchsah, um etwas zu finden, das Rachel nützen mochte. Die meisten Schreiben wurden vernichtet. Ein paar Angebote medizinischer Forschung wurden ernsthaft in Erwägung gezogen; letztendlich schienen aber keine Forschungen oder Experimentaltherapien dabei zu sein, die Reichs nicht schon selbst ausprobiert hatte.
Ein Fatlinegramm erregte Sols Aufmerksamkeit. Es kam vom Vorsitzenden des Kibbuz K’far Shalom auf Hebron und lautete nur:
WENN ES ZU VIEL WIRD, KOMMEN SIE HER.
Es wurde bald zu viel. Nach den ersten paar Monaten Publicity schien die Belagerung nachzulassen, aber das war das Vorspiel zum zweiten Akt. Fax-Sensationsblätter bezeichneten Sol als den »Wandernden Juden«, den verzweifelten Vater, der auf der Suche nach einem Heilmittel für die bizarre Krankheit seines Kindes in weite Fernen wanderte – eine ironische Bezeichnung, wenn man Sols Abneigung gegen Reisen kannte. Sarai war unumstößlich die »Trauernde Mutter«. Rachel war immer das »Verlorene Kind« oder, in einer besonders inspirierten Schlagzeile, »Das jungfräuliche Opfer des Fluchs
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