Die Hyperion-Gesänge
Stirn.
»Wir könnten in einem der Gräber auf das Ende des Sturms warten«, sagt Sol Weintraub. »Vielleicht in der Sphinx.«
»Von wegen«, sagt Martin Silenus.
Der Gelehrte dreht sich in dem engen Raum und sieht den Dichter an. »Sie haben den weiten Weg auf sich genommen, um das Shrike zu finden. Wollen Sie uns erzählen, Sie hätten es sich anders überlegt, nachdem es sich wirklich gezeigt hat?«
Silenus’ Augen leuchten unter dem heruntergezogenen Barett
hervor. »Ich sage gar nichts, davon abgesehen, dass ich sein verdammtes Schiff hierhaben möchte, und zwar sofort .«
»Könnte von Vorteil sein«, sagt Oberst Kassad.
Der Konsul sieht ihn an.
»Wenn es eine Chance gibt, Hoyts Leben zu retten, sollten wir sie nutzen.«
Der Konsul leidet selbst Höllenqualen. »Wir können nicht fort«, sagt er. »Jetzt nicht.«
»Nein«, stimmt Kassad zu. »Wir werden das Schiff nicht benützen, um zu fliehen. Aber die Med-Einheit könnte Hoyt helfen. Und wir könnten darin warten, bis der Sturm vorüber ist.«
»Und vielleicht herausfinden, was da oben passiert«, sagt Lamia und deutet mit dem Daumen zum Zeltdach.
Rachel, das Baby, weint schrill. Weintraub wiegt es und hält sein Köpfchen in den großen Händen. »Ich stimme zu«, sagt er. »Wenn das Shrike uns finden will, kann es uns im Schiff so mühelos finden wie hier draußen. Wir gewährleisten, dass sich keiner entfernt.« Er berührt Hoyts Brust. »So schrecklich es sich anhören mag, aber die Informationen, die die Med-Einheit uns verrät, wie dieser Parasit funktioniert, könnten für das Netz unvorstellbar wertvoll sein.«
»Na gut«, sagt der Konsul. Er holt das uralte Komlog aus dem Rucksack, legt die Hand auf den Diskey und murmelt mehrere Sätze.
»Kommt es?«, fragt Martin Silenus.
»Es hat den Befehl bestätigt. Wir müssen unsere Sachen für den Transfer verstauen. Ich habe ihm gesagt, es soll vor dem Zugang zum Tal landen.«
Lamia stellt überrascht fest, dass sie geweint hat. Sie wischt sich die Wangen ab und lächelt.
»Was ist so komisch?«, fragt der Oberst.
»Alles«, sagt sie und streicht mit dem Handrücken über die
Wangen. »Und ich kann nur daran denken, wie schön es ist, unter die Dusche zu können.«
»Und was zu trinken«, sagt Silenus.
»Schutz vor dem Sturm zu haben«, sagt Weintraub. Das Baby trinkt Milch aus einem Säuglingspack.
Kassad beugt sich nach vorn und streckt Kopf und Schultern zum Zelt hinaus. Er hebt die Waffe und entsichert sie. »Die Sensoren«, sagt er. »Etwas bewegt sich unmittelbar hinter den Dünen.« Das Visier dreht sich in ihre Richtung und zeigt ihnen eine blasse, zusammengekauerte Gruppe und den noch blasseren Leichnam von Lenar Hoyt. »Ich gehe nachsehen«, sagt er. »Warten Sie hier, bis das Schiff eintrifft.«
»Gehen Sie nicht«, sagt Silenus. »Das ist wie in einem der beschissenen alten Horror-Holos, wo sie einer nach dem anderen …« Der Dichter verstummt. Der Zelteingang wird zu einem Dreieck aus Licht und Lärm. Fedmahn Kassad ist fort.
Das Zelt fällt langsam zusammen, Heringe und Seile geben nach, als der Sand sich anhäuft. Der Konsul und Lamia, die sich ducken und brüllen, um sich über das Toben des Sturms hinweg verständlich zu machen, wickeln Hoyts Leichnam in seinen Mantel ein. Die Anzeigen des Medpack blinken weiterhin rot. Aber es fließt kein Blut mehr aus der behelfsmäßigen Tausendfüßlerklammer.
Sol Weintraub legt sein vier Tage altes Kind in die Trageschlaufe auf der Brust, wickelt den Mantel darum und duckt sich unter den Eingang. »Keine Spur vom Oberst!«, brüllt er. Vor seinen Augen schlägt ein Blitz in den ausgestreckten Flügel der Sphinx ein.
Brawne Lamia geht zum Eingang und hebt den Leichnam des Priesters hoch. Sie ist verblüfft, wie leicht er ist. »Bringen wir Pater Hoyt ins Schiff und zur Med-Einheit. Dann machen sich einige von uns auf die Suche nach Kassad.«
Der Konsul zieht den Dreispitz tief ins Gesicht und schlägt
den Kragen hoch. »Das Schiff verfügt über Tiefenradar und Bewegungsmelder. Es wird uns verraten, wohin der Oberst gegangen ist.«
»Und das Shrike«, sagt Silenus. »Wir dürfen unseren Gastgeber nicht vergessen.«
»Gehen wir«, sagt Lamia und steht auf. Sie muss sich gegen den Wind stemmen, damit sie vorankommt. Lose Enden von Hoyts Mantel flattern um sie, während ihr eigener Mantel hinter ihr herweht. Sie bahnt sich einen Weg zum Ausgang des Tals im Licht der zuckenden Blitze und schaut sich nur einmal um, ob die
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