Die Hyperion-Gesänge
anderen ihr folgen.
Martin Silenus geht vom Zelt weg, hebt Het Masteens Möbiuskubus hoch, und sein purpurnes Barrett wird vom Wind fort und in die Höhe gerissen. Silenus steht da, flucht eindrucksvoll und hört erst auf, als sich sein Mund mit Sand zu füllen beginnt.
»Kommen Sie!«, ruft Sol Weintraub und legt dem Dichter eine Hand auf die Schulter. Sol spürt, wie ihm der Sand ins Gesicht weht und sich in seinem kurzen Bart festsetzt. Mit der anderen Hand bedeckt er die Brust, als müsste er etwas unvorstellbar Kostbares schützen. »Wenn wir uns nicht beeilen, verlieren wir Brawne aus den Augen.« Die beiden helfen sich gegenseitig, damit sie gegen den Wind vorankommen. Silenus’ Pelzmantel wogt heftig, als er sich bückt und das Barett aufhebt, das im Windschatten einer Düne gelandet ist.
Der Konsul geht als Letzter; er trägt seinen eigenen Rucksack und den von Kassad. Kurz nachdem er den Unterschlupf verlassen hat, geben die Heringe nach, Leinwand reißt und das Zelt segelt von einem Heiligenschein statischer Elektrizität umgeben in die Nacht davon. Der Konsul stolpert die dreihundert Meter den Weg entlang, ab und zu die beiden Männer vor sich, aber häufiger verliert er den Weg aus den
Augen und muss im Kreis gehen, bis er ihn wieder gefunden hat. Wenn der Sandsturm ein wenig nachlässt und die Blitze nacheinander in rascher Folge aufleuchten, sind die Zeitgräber hinter ihm zu erkennen. Der Konsul sieht die Sphinx, die nach mehrmaligen Blitzeinschlägen noch elektrisch leuchtet, dahinter das Jadegrab, dessen Wände ebenfalls leuchten, und dahinter den Obelisk, der nicht leuchtet, ein vertikaler Streifen reinstes Schwarz vor den Felswänden. Dann der Kristallmonolith. Von Kassad ist keine Spur zu sehen, obwohl die wandernden Dünen, der verwehte Sand und die plötzlichen Blitze den Eindruck erwecken, als würde sich vieles bewegen.
Der Konsul schaut auf, sieht jetzt den breiten Zugang zum Tal und die rasenden Wolken darüber und rechnet halb damit, den blauen Fusionsstrahl seines Schiffs herabsinken zu sehen.
Doch als er den Sattel zwischen den Felswänden am Zugang des Tals erreicht, wo sich der Wind erneut auf ihn stürzt, sieht er nur die vier anderen zusammengekauert am Anfang der breiten, flachen Ebene – kein Schiff.
»Sollte es nicht schon da sein?«, brüllt Lamia, als sich der Konsul der Gruppe nähert.
Er nickt, duckt sich und holt das Komlog aus dem Rucksack. Weintraub und Silenus stellen sich gebückt hinter ihn, um ihn etwas vor dem wehenden Sand abzuschirmen. Der Konsul zögert und sieht sich um. Durch den Sturm sieht es so aus, als befänden sie sich in einem irren Zimmer, wo sich Wände und Decke jeden Augenblick verändern, sie bedrängen und kaum einen Meter entfernt sind, um im nächsten Augenblick in die Ferne zurückzuweichen, die Decke in die Höhe, wie in der Szene von Tschaikowskis Nussknacker, wo Zimmer und Weihnachtsbaum für Clara größer werden.
Der Konsul legt die Handfläche auf den Diskey, beugt sich
nach vorn und flüstert in das Stimmquadrat. Das uralte Instrument flüstert zurück, die Worte sind über das Prasseln des Sands hinweg gerade noch zu verstehen. Dann richtet er sich auf und sieht die anderen an. »Das Schiff hat keine Starterlaubnis bekommen.«
Ungehaltenes Murmeln wird laut. »Was soll das heißen, ›keine Starterlaubnis‹?«, fragt Lamia, als die anderen wieder still sind.
Der Konsul zuckt mit den Achseln und schaut nach oben, als könnte der blaue Flammenschweif dennoch die Ankunft des Schiffs verkünden. »Der Raumhafen in Keats hat es nicht zum Start freigegeben.«
»Haben Sie nicht gesagt, Sie hätten die Erlaubnis von der Königin höchstpersönlich?«, brüllt Martin Silenus. »Von der alten Gallstone?«
»Glad stones Freigabe war ins Gedächtnis des Schiffs eingespeichert« , sagt der Konsul. »FORCE und Hafenbehörden haben das gewusst.«
»Was ist dann passiert?« Lamia streicht sich über das Gesicht. Die Tränen, die sie im Zelt vergossen hat, haben winzige Rinnsale im Sand auf ihren Wangen hinterlassen.
Der Konsul zuckt erneut mit den Achseln. »Gladstone hat ihre Freigabe widerrufen. Ich habe eine Nachricht von ihr. Möchten Sie sie hören?«
Eine Zeitlang antwortet niemand. Nach einer Woche unterwegs ist der Gedanke an einen Kontakt mit der Außenwelt so unvorstellbar, dass ihn keiner sofort begreift; es ist, als hätte die Welt jenseits der Pilgerfahrt aufgehört zu existieren – abgesehen von den Explosionen am
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