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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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dort?«
    »Die Zeitgräber mit Sicherheit«, sagte der Physiker. »Was das Shrike anbelangt, so weiß ich es nicht. Ich persönlich vermute, dabei handelt es sich um einen Mythos, der vom selben Bedürfnis nach abergläubischen Überzeugungen geschaffen wurde, der auch andere Religionen begründet.«
    »Nach allem, was Rachel zugestoßen ist«, sagte ich, »glauben Sie immer noch nicht an das Shrike?«
    Melio Arundez sah mich finster an. »Rachel hat sich Merlins Krankheit zugezogen«, sagte er. »Das ist eine anti-entropische Alterskrankheit, nicht der Biss eines mythischen Ungeheuers.«
    »Der Biss der Zeit ist nie mythisch gewesen«, sagte ich und überraschte mich selbst mit diesem billigen Anflug selbstgebastelter Philosophie. »Die Frage ist – wird das Shrike oder die Macht, die den Zeitgräbern innewohnt, Rachel wieder in den ›hiesigen‹ Zeitstrom zurückbringen?«
    Arundez nickte und sah wieder über die Dächer hinaus. Die Sonne hatte sich hinter Wolken verzogen, der Morgen war grau, die roten Ziegeln wie ausgelaugt. Es fing wieder an zu regnen.

    »Und die Frage ist«, sagte ich und überraschte mich wieder selbst, »lieben Sie sie immer noch?«
    Der Physiker drehte langsam den Kopf und maß mich mit einem wütenden Blick. Ich spürte, wie sich seine – möglicherweise gewalttätige – Antwort aufbaute, verweilte und abebbte. Er griff in die Manteltasche und zeigte mir den Holoschnappschuss einer attraktiven Frau mit leicht ergrautem Haar und zwei Kindern unter zwanzig. »Meine Frau, meine Kinder«, sagte Melio Arundez. »Sie warten auf Renaissance Vector.« Er deutete mit einem kräftigen Finger auf mich. »Wenn Rachel heute … heute geheilt werden würde, wäre ich zweiundachtzig Standardjahre alt, bis sie wieder in das Alter kommt, als sie mich kennengelernt hat.« Er ließ den Finger sinken und steckte das Holo wieder in die Tasche. »Ja«, sagte er dann, »ich liebe sie immer noch.«
    »Fertig?« Die Stimme unterbrach unser Schweigen. Ich sah auf und erblickte Hunt und Theo Lane in der Tür. »Das Landungsboot startet in zehn Minuten«, sagte Hunt.
    Ich stand auf und schüttelte Melio Arundez die Hand. »Ich will es versuchen«, sagte ich.
    Generalgouverneur Lane ließ uns von einem Gleiter seiner Eskorte zum Raumhafen bringen, während er selbst ins Konsulat zurückkehrte. Der Militärgleiter war nicht bequemer als der des Konsulats, aber schneller. Wir waren schon in unseren Netzsitzen an Bord des Landungsbootes festgeschnallt und geschirmt, als Hunt sagte: »Was hatte das mit dem Physiker zu bedeuten?«
    »Ich habe lediglich die alte Freundschaft zu einem Fremden aufgefrischt«, sagte ich.
    Hunt runzelte die Stirn. »Was haben Sie ihm versprochen, würden Sie versuchen?«
    Ich spürte, wie das Landungsboot erbebte, dröhnte und dann emporschnellte, als der Katapultstarter uns himmelwärts
schleuderte. »Ich habe ihm versprochen, ich würde mich bemühen, dass er eine kranke Freundin besuchen darf«, sagte ich.
    Hunt sah weiterhin finster drein, aber ich holte einen Skizzenblock heraus und kritzelte Impressionen des Cicero’s, bis wir fünfzehn Minuten später am Sprungschiff andockten.
    Es war ein Schock, als ich durch das Farcasterportal in den Angestelltennexus im Regierungshaus trat. Ein weiterer Schritt brachte uns zur Senatsgalerie, wo Meina Gladstone immer noch vor überfülltem Haus sprach. Bildgestalter und Mikrofone übertrugen ihre Ansprache ins All-Wesen und zu hundert Milliarden wartenden Bürgern.
    Ich sah auf mein Chronometer. Es war 10:38 Uhr. Wir waren nur neunzig Minuten weg gewesen.
    12
    Das Gebäude, das den Senat der Hegemonie der Menschheit beherbergte, war mehr nach dem Senatsgebäude der Vereinigten Staaten vor achthundert Jahren gestaltet als nach den pompöseren Bauwerken der Nordamerikanischen Republik oder des Ersten Weltkonzils. Der Hauptsitzungssaal war von Galerien gesäumt und so groß, dass die über dreihundert Senatoren der Netzwelten und über siebzig nicht stimmberechtigten Repräsentanten von Protektoratskolonien darin Platz fanden. Die Teppichböden waren dunkelrot und verliefen von dem Podest aus, wo die Präsidentin Pro Tem, der Sprecher des All-Wesens und heute der Oberste Staatssekretär der Hegemonie, ihre Plätze hatten. Die Tische der Senatoren waren aus Muirholz gefertigt, das die Tempelritter von God’s Grove gespendet hatten, denen solche Produkte
heilig waren, und die Wärme und der Geruch von poliertem Holz durchdrangen den Saal selbst

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