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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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abhebt.
    Kassad hängt die Waffe über eine Schulter, klemmt den Helm unter den Arm, geht zur großen Wendeltreppe mitten in dem Schacht und beginnt den Aufstieg.
    14
    »Haben Sie Ihr Schläfchen gehalten?«, fragte Leigh Hunt, als wir die Farcasterrezeption des Treetops betraten.
    »Ja.«
    »Angenehme Träume, hoffe ich?«, sagte Hunt und gab sich keine Mühe, seinen Sarkasmus zu verbergen oder mit der Meinung hinter dem Berg zu halten, was er von Leuten hielt, die schliefen, während die Macher und Kämpfer der Politik geschäftig waren.
    »Nicht besonders«, sagte ich und blickte mich um, während wir die breite Treppe in den Restaurantbereich hinaufgingen.
    Im Netz, wo jede Stadt in jedem Land auf jedem Kontinent sich eines Vier-Sterne-Restaurants rühmen konnte und die wahren Feinschmecker nach Millionen zählten, deren Gaumen mit exotischen Genüssen von zweihundert Welten verwöhnt wurden, war das Treetops einmalig.
    Es lag auf einem Dutzend der höchsten Bäume auf einer Welt gigantischer Wälder und beanspruchte mehrere Ar der oberen Äste eine halbe Meile über dem Boden. Die Treppe, die Hunt und ich hinaufgingen, an dieser Stelle vier Meter breit, wirkte verloren zwischen den gewaltigen Ästen, die so breit wie Autobahnen waren, und Blättern so groß wie Segel sowie einem Stamm – von Scheinwerfern angestrahlt und durch

     
    Lücken im Laub eben noch zu erspähen –, der massiver und wuchtiger war als mancher Berg. Treetops nannte eine Reihe Speiseplattformen in den höchsten Wipfeln sein eigen, die je nach Rang und Privilegiertheit und Wohlstand und Macht anstiegen. Besonders Macht. In einer Gesellschaft, in der Milliarden mit tausend Kredits im Monat auskommen mussten, war ein Essen im Treetops, das in die Millionen gehen konnte, der Ausdruck für das höchste Maß an Position und Status: Macht – eine Währung, die nie aus der Mode kam. Die abendliche Versammlung sollte auf der obersten Plattform stattfinden, einer breiten, runden Platte aus Wehrholz – da man auf Muirholz nicht laufen kann – mit Blick auf einen blassen gelben Himmel, eine Unendlichkeit kleinerer Bäume, die sich bis zum fernen Horizont erstreckte, und die sanften, orangefarbenen Lichter von Tempelritterhäusern und Kathedralen der Andacht, die weit entfernt durch grünes und ockergelbes und bernsteinfarbenes Laub leuchteten. Es waren rund sechzig Leute zu der Dinnerparty geladen; ich erkannte Senator Kolchev, dessen weißes Haar unter den Papierlampions leuchtete, ebenso Ratgeber Albedo, General Morpurgo, Admiral Singh, Kanzler Pro Tem Denzell-Hiat-Amin, Sprecher des All-Wesens Gibbons, ein weiteres Dutzend Senatoren von so mächtigen Welten wie Sol Draconi Septem, Deneb Drei, Nordholm, Fuji, den beiden Renaissances, Metaxas, Maui-Covenant, Hebron, Neue Erde und Ixion und darüber hinaus ein Arsenal unbedeutenderer Politiker. Der Performancekünstler Spenser Reynolds war da – er trug eine prachtvolle weinrote Tunika aus Samt –, aber sonst sah ich keinen Künstler. Über die brechend volle Plattform hinweg konnte ich Tyrena Wingreen-Feif erkennen; die Verlegerin, die zur Philanthropin geworden war, fiel mit ihrem Kleid aus Tausenden seidenfeiner Lederblüten und dem zu einer Wellenskulptur hochgesteckten Haar selbst inmitten dieser Menschenmenge auf, das
Kleid war ein Original von Tedekai, das Make-up bestechend, aber nicht interaktiv, und ihr Äußeres war alles in allem zurückhaltender, als ich vor fünf oder sechs Jahrzehnten gewesen wäre. Ich schlenderte in ihre Richtung, während sich die Gäste auf der obersten Plattform drängten, die Bars plünderten und auf den Ruf zum Essen warteten.
    »Joseph, Schätzchen «, rief Wingreen-Feif, als ich die letzten paar Meter zurücklegte, »wie, um alles in der Welt, sind Sie denn zu einem so öden offiziellen Empfang eingeladen worden?«
    Ich lächelte und bot ihr ein Glas Champagner an. Die Kaiserinwitwe der letzten literarischen Schreie kannte mich nur aufgrund ihres einwöchigen Besuchs beim Künstlerfestival auf Esperance im vergangenen Jahr und meiner Bekanntschaft mit solchen netzklasse Namen wie Salmud Brevy III., Millon DeHavre und Rithmet Corber. Tyrena war ein Dinosaurier, der einfach nicht aussterben wollte. Ihre Handgelenke, Handflächen und der Hals hätten vor lauter Poulsen-Behandlungen blau geglüht, wäre das Make-up nicht gewesen, und sie verbrachte Jahrzehnte auf kurzen interstellaren Flügen oder mit kryonischen Nickerchen in Schönheitskliniken, die

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