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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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dem wehenden Sand unter.
    Lamia erwachte plötzlich und kam so vollständig zu Bewusstsein wie ein Instrument, das eingeschaltet wird. Sol Weintraub hatte Wache halten sollen, aber er schlief neben der flachen Tür zu dem Raum, wo die Gruppe Unterschlupf gesucht hatte. Die kleine Rachel schlief zwischen Decken neben ihm auf dem Boden; sie hatte den Rumpf gehoben, das Gesicht gegen die Decke gedrückt und ein Speichelbläschen auf den Lippen.
    Lamia sah sich um. Im trüben Licht einer Niederwattleuchtkugel und dem schwachen Tageslicht, das den vier Meter langen Korridor entlangschien, war nur einer der anderen Pilger sichtbar, ein dunkles Bündel auf dem Steinboden. Dort lag Martin Silenus und schnarchte. Lamia verspürte einen Anflug von Angst, als wäre sie im Schlaf allein gelassen worden. Silenus, Sol, das Baby – sie stellte fest, dass nur der Konsul fehlte.
Verluste hatten die Gruppe von sieben Pilgern und dem Baby dezimiert: Het Masteen war im Grasmeer vom Windwagen verschwunden; Lenar Hoyt war in der vergangenen Nacht getötet worden; Kassad war seit der Nacht vermisst … Der Konsul … wo war der Konsul?
    Brawne Lamia sah sich noch einmal um, vergewisserte sich, dass sich in dem dunklen Raum nur Rucksäcke, zusammengerollte Decken, der schlafende Dichter und der Gelehrte nebst Kind befanden, dann stand sie auf, fand die automatische Pistole ihres Vaters zwischen den Decken, tastete in ihrem Rucksack nach dem Nervenschocker und schlüpfte an Weintraub und dem Baby vorbei in den angrenzenden Korridor.
    Es war Morgen und so hell draußen, dass Lamia die Augen mit den Händen abschirmen musste, als sie von den Steinstufen der Sphinx auf den festgetretenen Pfad trat, der ins Tal hinabführte. Der Sturm war vorbei. Der Himmel Hyperions wies einen kristallenen Lapislazulifarbton mit vereinzelten grünen Flecken auf. Hyperions Stern war ein gleißender weißer Punkt, der gerade über der östlichen Felswand aufging. Felsschatten verschmolzen mit den verstreuten Silhouetten der Zeitgräber in der Talsohle. Das Jadegrab funkelte. Lamia sah die frischen Verwehungen und Dünen, die der Sturm hinterlassen hatte, weißer und karmesinroter Sand verschmolzen um Felsen herum zu sinnlichen Kurven und Schnörkeln. Von ihrem Lager in der vergangenen Nacht war keine Spur mehr zu sehen. Der Konsul saß auf einem Felsen zehn Meter unterhalb. Er sah ins Tal hinab, Rauch kräuselte sich aus seiner Pfeife. Lamia steckte die Pistole zum Schocker in die Tasche und ging den Hang hinab zu ihm.
    »Keine Spur von Oberst Kassad«, sagte der Konsul, als sie näher kam. Er drehte sich nicht um.
    Lamia sah das Tal entlang zum Kristallmonolithen. Die einst glänzende Oberfläche war durchlöchert und zerschmettert,
die oberen zwanzig oder dreißig Meter schienen ganz zu fehlen, das Geröll um die Fundamente rauchte noch. Der halbe Kilometer Boden zwischen Sphinx und Monolith war verbrannt und narbig. »Sieht so aus, als wäre er nicht kampflos abgetreten«, sagte sie.
    Der Konsul nickte zustimmend. Der Pfeifenrauch machte Lamia hungrig. »Ich habe bis zum Palast des Shrike zwei Klicks taleinwärts gesucht«, sagte der Konsul. »Brennpunkt des Kampfes scheint der Monolith gewesen zu sein. Es sind immer noch keine Spuren einer Öffnung in Bodennähe an dem Ding zu sehen, aber weiter oben sind jetzt so viele Löcher, dass man das kammförmige Muster erkennen kann, das das Tiefenradar immer gezeigt hat.«
    »Aber keine Spur von Kassad?«
    »Keine.«
    »Blut? Verbrannte Knochen? Ein Zettel, dass er wiederkommen wird, wenn er die Wäsche abgegeben hat?«
    »Nichts.«
    Brawne Lamia seufzte und setzte sich auf einen Stein neben dem Felsen des Konsuls. Die Sonne schien ihr warm auf die Haut. Sie blinzelte zur Öffnung zum Tal. »Na ja, verdammt«, sagte sie, »was sollen wir als Nächstes machen?«
    Der Konsul nahm die Pfeife aus dem Mund, betrachtete sie stirnrunzelnd und schüttelte den Kopf. »Ich habe es heute Morgen wieder mit dem Komlogrelais versucht, aber das Schiff wird immer noch festgehalten.« Er klopfte die Asche heraus. »Ich habe auch die Notfallfrequenzen versucht, aber wir kommen eindeutig nicht durch. Entweder übermittelt das Schiff nicht, oder die Leute haben Befehl, nicht zu antworten.«
    »Würden Sie wirklich fliehen?«
    Der Konsul zuckte mit den Achseln. Er hatte die Diplomatenuniform vom Vortag abgelegt und einen groben Wollpullover, eine graue Cordhose und hohe Stiefel angezogen. »Wenn wir
das Schiff hierhätten, würde das

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