Die Hyperion-Gesänge
Onkel und unverheirateten Tanten? Im momentanen Zustand wird der ganze Stamm gleichzeitig alt werden. Was passiert, wenn sie alle über dem gebärfähigen Alter sind und die Zeit kommt, Stammesmitglieder zu ersetzen?
Die Bikura führen ein langweiliges, sesshaftes Leben. Die Unfallrate muss – selbst so nahe am Rand der Kluft – gering sein. Es gibt keine Raubtiere. Jahreszeitlich bedingte Schwankungen sind minimal, der Nahrungsmittelvorrat bleibt mit ziemlicher Sicherheit stabil. Aber selbst wenn man das alles akzeptiert, muss es in der vierhundertjährigen Geschichte dieser verblüffenden Gruppe Zeiten gegeben haben, als Krankheiten das Dorf heimsuchten, als mehr als die übliche Anzahl Ranken rissen und Bewohner in die Kluft stürzten oder irgendetwas eine abnormale Häufung von Todesfällen bewirkte, vor denen es Versicherungsgesellschaften schon seit urdenklichen Zeiten graust.
Und was dann? Vermehren sie sich, bis die Differenz wettgemacht ist, und kehren dann zu ihrem derzeitigen geschlechtslosen
Leben zurück? Unterscheiden sich die Bikura so sehr von allen anderen bekannten menschlichen Gesellschaften, dass sie alle paar Jahre eine Brunftzeit haben: Einmal pro Jahrzehnt? Einmal im Leben? Das ist zu bezweifeln.
Ich sitze hier in meiner Hütte und denke über die Möglichkeiten nach. Eine ist, dass diese Menschen eine sehr lange Lebensspanne haben und sich die meiste Zeit davon vermehren können, was es einfach machen würde, Unfallopfer zu ersetzen. Aber das erklärt nicht ihr einhelliges Alter. Und es existiert kein Mechanismus, der diese Langlebigkeit erklären würde. Die besten altershemmenden Drogen, die die Hegemonie zu bieten hat, können eine aktive Lebensspanne bestenfalls ein wenig über die Hundert-Standardjahre-Marke anheben. Vorbeugende Gesundheitsmaßnahmen haben die Vitalität der Lebensmitte bis weit über sechzig erhalten können – mein Alter –, aber abgesehen von Klontransplantaten, Biotechnik und anderem Firlefanz der Schwerreichen kann niemand im Weltennetz damit anfangen, eine Familie zu planen, wenn er über siebzig ist, oder damit rechnen, dass er an seinem hundertzehnten Geburtstagsfest noch tanzen kann. Wenn der Verzehr von Chalmawurzeln oder die reine Luft des Pinion-Plateaus eine dramatische Wirkung auf die Verlangsamung des Alterungsprozesses haben würden, könnte man davon ausgehen, dass alle auf Hyperion hier leben und Chalma kauen würden, dass dieser Planet schon vor Jahrhunderten einen Farcaster bekommen hätte und dass jeder Bürger der Hegemonie, der eine Universalkarte besitzt, den Vorsatz fassen würde, Ferien und Ruhestand hier zu verbringen.
Nein, eine logischere Schlussfolgerung ist, dass die Bikura eine normale Lebensspanne haben und in normalen Abständen Kinder bekommen, diese aber töten, wenn kein Ersatz gebraucht wird. Sie praktizieren Abstinenz oder Geburtenkontrolle
– davon abgesehen, dass sie die Neugeborenen abschlachten –, bis die ganze Bande in ein Alter kommt, wo bald frisches Blut erforderlich ist. Eine Zeit der Massengeburt könnte das scheinbar gleiche Alter der Stammesmitglieder erklären.
Aber wer unterrichtet die Jungen? Was passiert mit den Eltern und den alten Menschen? Geben die Bikura die kümmerlichen Ansätze ihres primitiven Abklatsches einer Kultur weiter und lassen dann zu, dass sie selbst sterben? Wäre das dann ein »wahrer Tod« – die Auslöschung einer ganzen Generation? Ermorden die Fünf Dutzend und Zehn Individuen an beiden Enden der glockenförmigen Alterskurve?
Diese Art der Spekulation ist nutzlos. Ich werde allmählich wütend über meine mangelnde Fähigkeit, Probleme zu lösen. Entwickle eine Strategie und handle danach, Paul! Setz deinen trägen Jesuitenarsch endlich in Bewegung!
PROBLEM: Wie kann man die Geschlechter unterscheiden?
LÖSUNG: Locke oder zwinge ein paar dieser armen Teufel zu einer medizinischen Untersuchung. Finde heraus, was es mit diesem Geschlechterrollen-Geheimnis und dem Nacktheitstabu auf sich hat. Eine Gesellschaft, die auf jahrelange strikte sexuelle Enthaltsamkeit angewiesen ist, passt zu meiner neuen Theorie.
PROBLEM: Warum sind sie so fanatisch darauf bedacht, die Bevölkerungszahl von Fünf Dutzend und Zehn aufrechtzuerhalten, mit der die Kolonie des verlorenen Landungsbootes angefangen hat?
LÖSUNG: Setz ihnen zu, bis du es herausgefunden hast.
PROBLEM: Wo sind die Kinder?
LÖSUNG: Übe Druck aus und sei hartnäckig, bis du es erfahren hast. Vielleicht hat der
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