Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
langen Geschichte meiner Kirche haben sich schreckliche Häresien schon oft als bittere Wahrheit erwiesen, Sek Hardeen.«
    »Wenn Sie ein Tempelritter wären, hätte ich Sie zum Tode verurteilen können«, sagte die Gestalt unter der Kapuze leise.
    Duré seufzte. In seinem Alter, in dieser Situation und so müde, wie er war, rief der Gedanke an den Tod keine Furcht in seinem Herzen wach. Er stand auf und verbeugte sich knapp. »Ich muss gehen, Sek Hardeen. Ich entschuldige mich, sollten meine Worte Sie beleidigt haben. Es sind verwirrte und verwirrende
Zeiten.« Den Besten erlahmt der Glaube , dachte er, und die Schlimmsten sind voll von leidenschaftlicher Heftigkeit. Er drehte sich um und ging zum Rand der Plattform.
    Und blieb stehen.
    Die Treppe war fort. Dreißig vertikale und fünfzehn horizontale Meter trennten ihn von der nächsten Plattform, wo der Fahrstuhl wartete. Unter ihm fiel der Weltbaum einen Kilometer oder mehr in belaubte Tiefen ab. Duré und die Wahre Stimme dieses Baums waren auf der höchsten Plattform isoliert.
    Duré ging zum nächsten Geländer, hob das plötzlich schweißnasse Gesicht zum Abendwind und bemerkte den ersten Stern am ultramarinfarbenen Himmel. »Was geht hier vor, Sek Hardeen?«
    Die Gestalt in Gewand und Kapuze am Tisch war in Dunkelheit gehüllt. »In achtzehn Minuten Standard wird die Welt Heaven’s Gate den Ousters in die Hände fallen. Unsere Prophezeiungen sagen, dass sie vernichtet werden wird. Mit Sicherheit aber ihr Farcaster und die Fatlinesender, und damit wird diese Welt in jeder praktischen Hinsicht aufgehört haben zu existieren. Genau eine Standardstunde später wird der Himmel über God’s Grove von den Fusionstriebwerken der Ousterkriegsschiffe erhellt werden. Unsere Prophezeiungen sagen, dass alle der Bruderschaft, die noch verblieben sind – und alle anderen, obwohl die Bürger der Hegemonie schon längst mit Farcastern evakuiert wurden –, ausgelöscht werden.«
    Duré ging langsam zum Tisch zurück. »Es ist wichtig, dass ich nach Tau Ceti Center ’caste«, sagte er. »Severn … Jemand wartet auf mich. Ich muss mit Präsidentin Gladstone sprechen.«
    »Nein«, sagte die Wahre Stimme des Weltbaums Sek Hardeen. »Wir werden abwarten. Wir werden gemeinsam sehen, ob die Prophezeiungen zutreffend sind.«
    Der Jesuit ballte hilflos die Fäuste und spürte eine Aufwallung gewalttätiger Impulse, die den Wunsch in ihm weckten, die Gestalt
unter der Kapuze zu schlagen. Duré schloss die Augen und betete zwei Ave Marias. Es half nicht. »Bitte«, sagte er. »Die Prophezeiungen werden bestätigt oder entkräftet, ob ich hier bin oder nicht. Und dann wird es zu spät sein. Die Schlachtschiffe von FORCE werden die Singularitätssphäre vernichten, und die Farcaster sind dahin. Wir werden jahrelang vom Netz abgeschnitten sein. Milliarden Leben könnten davon abhängen, dass ich unverzüglich nach Tau Ceti Center zurückkehre.«
    Der Tempelritter verschränkte die Arme, sodass die Hände mit den langen Fingern in den Falten des Gewands verschwanden. »Wir werden warten«, sagte er. »Alles Vorhergesagte wird in Erfüllung gehen. In wenigen Minuten wird der Herr der Schmerzen über alle im Netz kommen. Ich teile den Glauben des Bischofs nicht, dass die verschont werden, die Buße gesucht haben. Wir sind hier besser dran, Pater Duré, wo das Ende schnell und schmerzlos sein wird.«
    Duré zermarterte seinen übermüdeten Verstand, um etwas Entscheidendes zu sagen, zu tun. Nichts fiel ihm ein. Er setzte sich an den Tisch und betrachtete die stumme, vermummte Gestalt ihm gegenüber. Über ihnen wurden die Sterne in ihrer leuchtenden Vielzahl sichtbar. Die Weltwälder von God’s Grove raschelten ein letztesmal im Abendwind und schienen dann erwartungsvoll den Atem anzuhalten.
    Paul Duré schloss die Augen und betete.
    37
    Wir marschieren den ganzen Tag, Hunt und ich, und gegen Abend finden wir ein Gasthaus, wo der Tisch für uns gedeckt ist – Fasan, Reispudding, Blumenkohl, eine Schüssel Makkaroni und so weiter –, aber Menschen sind keine da, auch keine Spur von Menschen, abgesehen vom Feuer im Herd, das lodert,
als wäre es gerade angezündet worden, und dem Essen, das noch warm auf der Platte steht.
    Hunt ist gereizt – deswegen und wegen der schrecklichen Entzugssymptome, die der fehlende Kontakt zur Datensphäre bei ihm verursacht. Ich kann mir seine Qualen vorstellen. Für eine Person, die in eine Welt hineingeboren wurde, in der Informationen andauernd

Weitere Kostenlose Bücher