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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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eingelassen.
    »Wir müssen uns bereit machen«, flüsterte Moneta, und das Licht nahm einen goldenen Schimmer an. Ein langes Regal senkte sich. Ein hauchdünner Streifen reflektierenden Polymers wallte von der Decke und diente als Spiegel.

    Kassad verfolgte mit der ruhigen Passivität eines Träumers, wie Moneta ihre Kleidung auszog und dann seine. Ihre Nacktheit war nicht mehr erotisch, nur noch zeremoniell.
    »Du bist seit Jahren in meinen Träumen«, sagte er zu ihr.
    »Ja. Meine Vergangenheit. Deine Zukunft. Die Schockwellen von Ereignissen bewegen sich über die Zeit wie Wellen über einen Teich.«
    Kassad blinzelte, als sie eine goldene Rute hob und ihn damit an der Brust berührte. Er spürte einen leichten Schock, dann wurde sein Fleisch zu einem Spiegel, sein Kopf und das Gesicht ein konturloses Oval, das sämtliche Farben und Töne des Raums reflektierte. Einen Augenblick später gesellte sich Moneta zu ihm, ihre Körper wurden zu einer Kaskade der Spiegelungen, Wasser über Quecksilber über Chrom. Kassad sah sein Spiegelbild in jeder Kurve ihres Körpers. Monetas Brust fing das Licht ein und brach es, ihre Brustwarzen kleine Spritzer auf einem spiegelnden See. Kassad umarmte sie und spürte, dass ihre Oberflächen wie magnetische Flüssigkeit verschmolzen; unter den verbundenen Feldern berührte seine Haut ihre.
    »Deine Feinde warten außerhalb der Stadt«, flüsterte sie. Licht spielte auf dem Chrom ihres Gesichts.
    »Feinde?«
    »Die Ousters. Die dir hierher gefolgt sind.«
    Kassad schüttelte den Kopf und sah seine Spiegelung dasselbe tun. »Die sind nicht mehr wichtig.«
    »O doch«, flüsterte Moneta, »der Feind ist immer wichtig. Du musst dich bewaffnen.«
    »Womit?« Doch noch während er es sagte, merkte Kassad dass sie ihn mit einer Bronzekugel berührte, einem stumpfen, blauen Toroid. Sein veränderter Körper sprach nun so deutlich zu ihm wie Soldaten, die über einen implantierten Kommandofunkkreis Meldung machten. Kassad spürte, wie
sich mit unwiderstehlicher Kraft der Blutrausch in ihm aufbaute.
    »Komm!« Moneta führte ihn wieder in die Wüste. Das Sonnenlicht wirkte polarisiert und grell. Kassad spürte, dass sie über die Dünen glitten, dass sie wie Flüssigkeit durch die weißen Marmorstraßen der toten Stadt flossen. Am westlichen Stadtrand, bei den zerfallenen Ruinen eines Bauwerks, über dessen Tür man noch die gemeißelte Inschrift DICHTER-AMPHITHEATER lesen konnte, wartete etwas.
    Einen Augenblick lang dachte Kassad, es wäre eine weitere Person, die die Chromkraftfelder trug, in die er und Moneta gehüllt waren – aber nur für einen Augenblick. Dieses spezielle Quecksilber-auf-Chrom-Konstrukt hatte nichts Menschliches an sich. Kassad betrachtete wie in einem Traum die vier Arme, die ausfahrbaren Fingerklingen, die vorstehenden Stacheln an Hals, Stirn, Handgelenken, Knien und Körper, aber er nahm den Blick nicht ein einziges Mal von den beiden tausendfacettigen Augen, in denen rote Flammen brannten, vor denen das Sonnenlicht verblasste und der Tag sich zu blutigen Schatten verdunkelte.
    Das Shrike.
    »Der Herr der Schmerzen«, flüsterte Moneta.
    Das Ding drehte sich um und führte sie aus der toten Stadt hinaus.
     
    Kassad beeindruckte, wie die Ousters ihre Verteidigung organisiert hatten. Die beiden Landungsboote standen keinen halben Kilometer voneinander entfernt, ihre Kanonen, Projektoren und Geschütztürme gaben sich gegenseitig Deckung und deckten volle dreihundertsechzig Grad ab. Bodentruppen der Ousters waren emsig damit beschäftigt gewesen, Schützengräben in hundert Meter Entfernung von den Booten auszuheben, und Kassad konnte mindestens zwei EM-Panzer mit
herabgelassenen Schirmen sehen, deren Projektionseinrichtungen und Abschussrohre das weite, verlassene Moor zwischen der Stadt der Dichter und den Booten überwachten. Kassads Sehvermögen war verändert worden; er konnte die überlappenden Sperrfelder der Schiffe als Streifen gelben Dunstes erkennen und die Bewegungssensoren und Tretminen als Eier pulsierenden Rotlichts.
    Er blinzelte, als er merkte, dass etwas mit dem Bild nicht stimmte. Dann fiel es ihm auf: Abgesehen vom grellen Licht und seiner verbesserten Wahrnehmung von Energiefeldern bewegte sich nichts. Die Oustersoldaten, selbst die in Bewegungsposen befindlichen, waren so starr wie die Spielzeugsoldaten, mit denen er als Junge in den Elendsvierteln von Tharsis gespielt hatte. Die EM-Panzer waren mit herabgelassenen Schirmen in ihren

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